Rituale der Gegenwart

Der Bregenzer Kultursommer 2025 ist weiterhin auf der Suche nach dem „Missing Link“.
Bregenz Zwischen dem Vertrauten, das nicht mehr trägt, und dem Neuen, das noch nicht greifbar ist, öffnet sich ein Raum des Übergangs. Diesem Schwebezustand widmet sich der „Kultursommer 25” der Landeshauptstadt Bregenz unter dem Titel „Missing Link – Verbindende Rituale”. Bis zum 19. Oktober spannt sich ein dichtes Netz aus über 30 künstlerischen Positionen über die Stadt. Es macht Übergänge sichtbar, markiert Schwellen und öffnet Räume für neue Verbindungen.

Rituale sind laut dem Leitmotiv dieses kulturellen Sommers nicht nur kulturelle Muster der Wiederholung, sondern auch Räume der Erfahrung – jenseits von Sprache, inmitten des Dazwischen. Der Kultursommer versteht sich dabei als Plattform und Laboratorium: Hier werden Rituale nicht nur gezeigt, sondern auch gemeinsam mit dem Publikum diskutiert, gestaltet und körperlich sowie künstlerisch durchlebt.

Den Auftakt bildet die Ausstellung „Aderlass” von Hermann Nitsch und Paul Renner im Magazin4. Nitschs Kunst, geprägt von Schüttbildern, Klangaktionen und Relikten des Orgien-Mysterien-Theaters, entfaltet sich als intensiver Erfahrungsraum zwischen Symbol und Körper. Paul Renner ergänzt die Schau durch eine performative, kulinarische Intervention, bei der das Thema „Aderlass” buchstäblich durch den Geschmack erfahrbar wird.

Auch andere künstlerische Positionen nähern sich dem Ritual aus neuen Blickwinkeln. Patricia J. Reis und Ruth Schnell untersuchen in der Galerie Lisi Hämmerle mit ihrer Ausstellung „Traces of Control” die subtilen, aber mächtigen Einflüsse künstlicher Intelligenz auf unser Erleben von Nähe, Empathie und Kontrolle als zeitgenössisches Ritual digitaler Wirklichkeit. Der italienische Künstler Andrea Cusumano verwandelt gemeinsam mit Alina Trionow den Martinsturm in eine mehrdimensionale Klang- und Bildwelt. Dieses poetisch-mythologische Projekt über Achilles, Penthesilea und andere Grenzfiguren der Erzähltradition trägt den Namen „Singende Gemälde“.

In ihrer gemeinsamen Arbeit „Theriormorphe. Artefakte zur Beschwörung” im Magazin 4 greifen Roland Adlassnigg und Amrei Wittwer auf die ältesten Figuren der Menschheitsgeschichte zurück: Mischwesen zwischen Mensch und Tier. Ihre kultischen Objekte sind nicht bloß Skulpturen, sondern Werkzeuge einer imaginierten Mitgeschöpflichkeit – ein Versuch, verlorene Verbindungen zu beschwören und neue Übergänge zu eröffnen. Einen gänzlich anderen, aber nicht minder immersiven Zugang verfolgt das gemeinschaftliche Kunstprojekt „Atmosphere 1.0” von Dean.One, das vom 25. Juli bis zum 16. August in der Jahnstraße zu sehen sein wird. Hier entsteht eine wandelbare, kugelförmige Rauminstallation – ein Ort der offenen Ideen, der kollektiven Kreativität und des spielerischen Wachsens. Jede Interaktion verändert diesen Raum und jede Begegnung wird Teil eines imaginären Systems, das sich den Prinzipien Bewegung, Verbindung und Gestaltung verschrieben hat.

Im filmischen Dialogprojekt „Firlefanz und Dialog – Auf der Straße zur Kirche HJ.“ (13. August im Bregenzer Salon) von Robert Polak begegnen sich Vergangenheit und Gegenwart auf intime Weise. Polaks Film, der historische Aufnahmen der Bergmannstraße und der Herz-Jesu-Kirche von 1992 bis 2014 versammelt, verwebt kollektive Erinnerung mit persönlicher Erfahrung. Er macht deutlich, wie stark Rituale im urbanen Alltag verankert sein können: leise, beiläufig, aber prägend.

Der Kultursommer wird von einem vielfältigen Rahmenprogramm begleitet, zu dem unter anderem das KUB Sommer Open Air mit Filmklassikern wie „Pina”, „And Then We Danced” oder „Last Dance”, musikalische Beiträge, Schreibwerkstätten und ortsspezifische Interventionen gehören. Dabei rücken immer wieder Begegnung, Gemeinschaft und künstlerische Transformation in den Mittelpunkt. So zeigt der Kultursommer 2025 nicht nur, was Rituale einmal waren, sondern vor allem, was sie heute sein können: fluide Formen des In-Beziehung-Tretens in einer sich stetig wandelnden Welt. Das „Missing Link“, das diesen Sommer leitet, wird nicht gesucht – es wird durchlebt.