Thielemanns triumphaler Lohengrin

Beeindruckende Produktion in den Bilderwelten von Neo Rauch und Rosa Loy.
Bayreuth Mit Richard Wagners „Lohengrin“ präsentierten die Bayreuther Festspiele ein Werk, das in seiner strukturellen Komplexität und symbolischen Mehrdeutigkeit exemplarisch für das Ideal des Gesamtkunstwerks steht. Unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann (66) entfaltete das Orchester eine Deutung von hypnotischer Klarheit und eruptiver Kraft, die zugleich fesselte und zur inneren Einkehr einlud. Die Inszenierung von Yuval Sharon, in Szene gesetzt durch die Bildwelten von Neo Rauch und Rosa Loy, beeindruckte auch im achten Aufführungsjahr mit einer Bühnenästhetik in Delfter Blau, deren poetisch-surreale Kraft in einen spannungsvollen Dialog mit Wagners Musik trat.

Christian Thielemann bewies erneut seine Meisterschaft im Umgang mit Wagner: Sein Dirigat zeichnete sich durch eine sensible Balance zwischen rauschhafter Klangüppigkeit und klarer, beinah analytischer Herausarbeitung musikalischer Feinheiten aus. Thielemanns Tempi wirkten durchweg lebendig und dynamisch, ohne jemals gehetzt zu erscheinen. Die musikalischen Linien flossen organisch ineinander und der Klangkörper des Orchesters schien förmlich zu atmen. Dies wurde insbesondere im Vorspiel deutlich, das mit seiner kontemplativen Schönheit tief bewegte und das anspruchsvolle Bayreuther Publikum bereits in den ersten Momenten der Oper gefangen nahm.

Die Zusammenarbeit mit dem Künstlerduo Neo Rauch und Rosa Loy erwies sich als inspirierte Wahl, um Wagners vielschichtiger Symbolik visuell Ausdruck zu verleihen. Ihr Konzept, Brabant als ein düsteres, elektrizitätsloses Land zu zeigen, in dem Lohengrin als eine Art visionärer Retter auftritt und „Strom” bringt, war originell und durchdacht. Die Bühnenelemente – etwa der monumentale Strommast, der zugleich als Gerichtseiche diente, oder das Trafohäuschen, das Elsas Aufbruch symbolisierte – verliehen der Inszenierung eine reiche allegorische Ebene. Trotz der inhaltlichen Schwere gab es auch spielerische Elemente, beispielsweise in den Kostümen der Brabanter, die als humorvolle blaue Motten mit wuscheligen Pumphosen und Flügeln gestaltet waren.

Yuval Sharons Regieansatz, Lohengrin als ambivalente, widersprüchliche Figur zu zeichnen, eröffnete neue Interpretationsräume. Piotr Beczała, der als Lohengrin nach Bayreuth zurückkehrte, verlieh seiner Rolle eine glaubwürdige Doppelgesichtigkeit zwischen heroischem Idealismus und subtiler Dominanz. Seine Stimme bestach durch lyrische Wärme und Strahlkraft, und er gestaltete seine Partie differenziert und eindringlich. An seiner Seite brillierte Elza van den Heever bei ihrem Debüt als Elsa von Brabant mit großer emotionaler Hingabe und einer klaren, berührenden Sopranstimme. Ihre Elsa durchlief eindrucksvoll die Wandlung von der hilflosen Unschuld zur erwachenden Selbstbestimmung, was im dritten Akt besonders deutlich und kraftvoll hervortrat.

Miina-Liisa Värelä setzte als Ortrud einen Höhepunkt der vokalen und schauspielerischen Intensität. Ihre Darstellung bewegte sich souverän zwischen manipulativer Schärfe und überzeugender, beinah revolutionärer Kraft, die Elsas Emanzipation entscheidend vorantrieb. Olafur Sigurdarson überzeugte als düster-bedrohlicher Friedrich von Telramund. Andreas Bauer Kanabas agierte als kurzfristiger Einspringer für Heinrich der Vogler überraschend souverän und beeindruckte mit seiner sonoren Bassstimme, als hätte er die Rolle seit Jahren verkörpert.

Großes Lob verdient auch der Chor der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Thomas Eitler-de Lint, der besonders intensiv und lebendig wirkte. Die vielen Hügel-Debütanten überzeugten mit motiviertem Schauspiel und gesanglicher Präzision. Dadurch erhielten die Massenszenen, insbesondere die Chöre im ersten Akt, eine mitreißende Dynamik.

Die finale Szene, in der Elsas Bruder Gottfried als grün bewachsenes Wesen umgeben von einer blau-orangen Szenerie auftrat, setzte einen letzten deutlichen Akzent. Dieses Bild einer Rückkehr zur Natur kontrastierte stark mit den technologischen Motiven der Inszenierung und ließ viel Interpretationsspielraum, der jedoch eher assoziativ als klar fokussiert blieb.

Das Publikum würdigte die Produktion mit enthusiastischem Beifall und stehenden Ovationen. Sie überzeugte sowohl durch ihre musikalische Brillanz unter der Leitung von Christian Thielemann als auch durch die visuelle Kraft der von Neo Rauch und Rosa Loy geschaffenen Bilderwelten. Die Regie von Yuval Sharon zeigte eindrucksvoll, dass sich in Wagners Werken stets neue Perspektiven und Bedeutungen eröffnen, wenn man sie mutig und intelligent hinterfragt. Somit bot diese Premiere von „Lohengrin” nicht nur musikalischen Hochgenuss, sondern regte auch zu einer tiefgehenden Reflexion über Ideale, Macht und Emanzipation an.