„vom Jandln zum Ernst“

VN-Interview mit Komponist, Posaunist, Pianist und Dirigent Christian Muthspiel (63).
Dornbirn Ob Lautgedichte, Gedichte in „heruntergekommener Sprache“ oder „Stanzen“ genannte Vierzeiler – erst Ernst Jandls Sprechkunst ließ sie adäquat erklingen. Um diese eindrucksvolle, unverwechselbare Stimme sowie das poetische Werk Jandls dem Vergessen zu entreißen, komponierte Christian Muthspiel für sein unorthodox besetztes Jazzorchester ORJAZZTRA VIENNA anlässlich dessen hundertsten Geburtstags das Oratorium „Vom Jandln zum Ernst“. Das Konzert ist am 25. September am Spielboden in Dornbirn zu hören.
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Herr Muthspiel, was bedeutet es Ihnen, die unverwechselbare Stimme Jandls in Ihrem Theaterkonzert noch einmal so präsent auf die Bühne zu bringen?
Ernst Jandls 100. Geburtstag als Anlass, mein 17-köpfiges Jazzorchester ORJAZZTRA VIENNA als vielfältig einsetzbarer Klangkörper aus 17 Solistinnen und Solisten sowie Jandls zugespielte Originalstimme als bestmöglicher Interpret seiner Gedichte ergeben für mich in Summe eine geradezu ideale Konstellation für mein letztes Jazzprogramm. Ich hatte während der Monate des Komponierens die Vision, Ernst Jandl würde mit uns gemeinsam auf der Bühne sitzen. Das hat mich angetrieben und inspiriert.

„vom Jandln zum Ernst“ ist ein 90-minütiges „Oratorium für Dichterstimme und Jazzorchester“. Wie haben Sie die Auswahl der über 30 Gedichte getroffen, und welche dramaturgische Linie leitet das Programm?
Es gab eine monatelange Phase der Vorbereitung, was die Auswahl und Reihenfolge der Gedichte betrifft: Erstens sind einige der Gedichte, die ich integrieren wollte, nie von Jandl auf Tonträger oder in Radiosendungen aufgenommen worden. Zweitens musste die Reihenfolge in sich eine „Geschichte“ erzählen, drittens textlich und musikalisch einer stringenten Dramaturgie unterworfen sein, und viertens sind die Gedichte auch den 17 Solistinnen und Solisten des Orjazztra und deren Persönlichkeit und Spielweise zugeordnet. Denn im Orjazztra tritt jede Musikerin und jeder Musiker einmal aus dem Kollektiv heraus und solistisch und improvisatorisch ins Rampenlicht.
Ernst Jandl war ein leidenschaftlicher Jazzfan. Welche Rolle spielt der Jazz in Ihrer Vertonung – und wie spiegelt sich in Ihrer Komposition die gemeinsame Affinität zu Improvisation und Freiheit wider?
Jandl IST Jazz. Als rhythmisch Schreibender, als Freiheitsliebender, als Hierarchien Hinterfragender, als der „Hochkultur“ Misstrauender. Jandl hat gesagt, dass er, hätte er Jazzmusiker werden können, keine Gedichte hätte schreiben müssen. Meine Vertonung ist purer Jazz im Großformat eines Jazzorchesters. Die Wucht des Orchesters trifft auf die Energie von Jandls Stimme. Und die improvisierten Soli befreien sich vom Korsett der Partitur, so wie Jandl sich vom Korsett der Grammatik, Interpunktion und Schreibweise befreite.

Sie sind in den 1980er-Jahren gemeinsam mit Ernst Jandl aufgetreten. Gibt es eine Erinnerung an diese Zusammenarbeit, die Ihnen gerade jetzt – anlässlich seines 100. Geburtstags und Ihres Bühnenabschieds – besonders nahegeht?
Ich erinnere seine unbedingte Professionalität bei Proben und Auftritten, seine künstlerische Konsequenz und Kompromisslosigkeit sowie sein geradezu „körperliches Zuhören“, wenn er von Jazzmusikern umgeben war. Er liebte den Rhythmus, die Klangmacht und die Wildheit des Jazz.
Mit Ende 2025 verabschieden Sie sich vom aktiven Konzertleben. War es für Sie ein bewusster, geplanter Entschluss, diesen Abschied mit Jandl zu verbinden, oder hat sich das organisch ergeben?
Es gab in meinem Leben einige Male Zeitpunkte, wo sich große Entscheidungen wie von selbst aufgedrängt hatten, wo „die Zeit reif war“ für Veränderung. Dass sich mein Entschluss, ab nächstem Jahr nicht mehr auf die Bühne zu gehen, mit Jandls 100er traf, war vielleicht kein Zufall. Ich habe in den eineinhalb Jahren des Vorbereitens, Komponierens und Probens für dieses Programm alle meine Kräfte und Sinne mobilisiert, um meinem Publikum, dem Orchester und mir selbst ein schönes und sinnstiftendes letztes Konzertjahr zu schenken. Nach rund 45 Jahren gehe ich dankbar in einen neuen Lebensabschnitt, auf den ich schon sehr neugierig bin.
Wenn Sie auf Ihr jahrzehntelanges Schaffen zurückblicken – was möchten Sie kommenden Generationen von Musikerinnen und Musikern mit auf den Weg geben?
An das zu glauben, was man innerlich hört. Einen langen Atem haben. Künstlerisches und Ökonomisches so gut es geht emotional voneinander zu trennen. Darauf zu vertrauen, dass, besonders im Zeitalter der Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche, ein LIVE KONZERT etwas Besonderes ist, das wir Musiker den uns zuhörenden Menschen „schenken“ dürfen.