Zwischen Hafen und Hoffnung

„Transit“ in der Bearbeitung von Reto Finger am Vorarlberger Landestheater.
Bregenz Anna Seghers’ „Transit“, 1941 im französischen Exil geschrieben und 1944 erstmals in Mexiko veröffentlicht, zählt zu den eindringlichsten Zeugnissen der deutschen Exilliteratur. Der Roman fasst die Erfahrung von Flucht, Entwurzelung und dem quälenden Warten in einer Zwischenwelt wie kaum ein anderes Werk in Sprache. Er erzählt von den Menschen, die im besetzten Frankreich gestrandet sind. In Marseille, jener Stadt zwischen Front und Meer, sammeln sie sich – Juden, politische Gegner, Intellektuelle, Deserteure, aber auch einfache Familien – und warten auf die rettenden Papiere und Schiffe, die sie aus Europa hinausführen könnten. Es ist eine Geschichte des Dazwischen, voller Ungewissheiten, Täuschungen, Identitätswechsel und brüchiger Hoffnungen – und zugleich eine Parabel auf die existenzielle Erfahrung des 20. Jahrhunderts.

Im Zentrum steht die Figur eines namenlosen Erzählers, der selbst vor den Nationalsozialisten geflohen ist und in Marseille auf ein Visum hofft. Durch Zufall gerät er in den Besitz der Unterlagen des Schriftstellers Weidel, der sich das Leben genommen hat. Mit diesen Papieren könnte er die Identität des Toten übernehmen und somit die rettende Ausreise erlangen. Doch während er in den Konsulaten, Cafés und Hotels der Hafenstadt verkehrt, verstrickt er sich immer tiefer in ein Netz aus Begegnungen und Täuschungen, aus Verheißungen und Verzweiflungen. Besonders die Bekanntschaft mit Weidels Frau, die nichts von dessen Tod weiß und ihrerseits auf Nachrichten wartet, führt die fragile Situation des Erzählers an die Grenze des Erträglichen. So entfaltet Seghers ein Panorama von Menschen im Transit, die alle in der Schwebe hängen – zwischen Hoffnung und Resignation, zwischen der Möglichkeit eines neuen Lebens und der Bedrohung des Todes.

Der Schweizer Autor Reto Finger hat diesen Stoff für die Bühne adaptiert. Seine Fassung konzentriert die verschlungenen Stränge des Romans auf eine dichte, dialogische Form, die die existenzielle Spannung und das Schwanken der Figuren noch stärker hervortreten lässt. Wie lebt es sich im Transit? Welche Spuren hinterlässt das Verharren in einer Schwebe, die nicht enden will? Und wie verändern uns Ungewissheit, Entwurzelung und die Fremde?

Die Premiere dieser Bearbeitung findet am kommenden Samstag, dem 4. Oktober, im Vorarlberger Landestheater statt. Die Inszenierung liegt in den Händen von Intendantin Stephanie Gräve, die gemeinsam mit Luisa Costales Pérez-Enciso auch für die Bühne verantwortlich zeichnet. Costales Pérez-Enciso entwirft zudem die Kostüme und sorgt so für die visuelle Rahmung, in der die Figuren zwischen Hafen, Amtsstuben und imaginären Schiffspassagen in Erscheinung treten. Das Szenenbild wird durch die Videoarbeiten von Sarah Mistura ergänzt. Tom Barcal setzt mit der Lichtgestaltung die atmosphärischen Akzente. Oliver Rath, der auch die Kompositionen verantwortet, sorgt gemeinsam mit Marcello Girardelli und Martin Grabher für einen live gespielten Klangraum.

Die Aktualität des Stoffes liegt in seiner schonungslosen Klarheit: Menschen im Transit leben nicht nur zwischen Ländern und Grenzen, sondern auch zwischen Identitäten, zwischen Vergangenheit und Zukunft – ohne festen Boden, ohne die Sicherheit eines Ankommens.