Die Krise als Erkenntnismoment

Konrad Paul Liessmann neuestes Buch: „Was nun? Eine Philosophie der Krise“.
Sachbuch Krisen sind zum Grundrauschen unserer Gegenwart geworden. Pandemie, Krieg, Energieknappheit, Demokratieverdruss – das Wort ist allgegenwärtig, aber kaum jemand fragt, was es eigentlich bedeutet. Der Kärntner Philosoph Konrad Paul Liessmann, emeritierter Professor und einer der scharfsinnigsten Denker des Landes, tut genau das. In seinem neuen Buch „Was nun? Eine Philosophie der Krise“ untersucht er nicht nur die Krisen unserer Zeit, sondern den Begriff selbst. Wie stets bei Liessmann beginnt alles mit der Sprache. „Krise“ stammt vom griechischen krinein – trennen, unterscheiden, urteilen. In diesem Sinne ist jede Krise ein Moment der Entscheidung, eine Zeit, in der sich zeigt, was Bestand hat. Die Pandemie war für Liessmann das Paradebeispiel: Plötzlich war alles anders und die Wirklichkeit selbst traf die Unterscheidung zwischen „Vorher“ und „Nachher“. Doch nicht alles, was wir heute Krise nennen, verdient diesen Namen. Der Klimawandel etwa sei laut Liessmann kein Krisenphänomen, sondern ein langwieriger Wandel. Eine Krise habe einen Anfang und ein Ende, so Liessmann. Der Krisenbegriff eigne sich nicht für Prozesse, die sich über Jahrhunderte erstrecken. Das ist typisch für Liesmanns Denken: begriffliche Präzision statt moralischem Alarmismus.
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Krisen bergen laut seiner These immer ein regressives Moment – die Sehnsucht nach der verlorenen Normalität. Dieses Denken führt ihn in das Herz seiner Diagnose, der Krise der Demokratie. Er erinnert sich daran, wie schön die Demokratie war, als es noch keine Populisten gab. Doch Demokratie ist kein Wunschkonzert. Sie lebt vom Aushalten des Unangenehmen, auch wenn Entscheidungen schmerzhaft sind. Liessmanns Blick reicht jedoch weiter und umfasst die Moralisierung in Wissenschaft, Kunst und Sprache sowie die Angst vor neuen Technologien. Er plädiert dafür, Veränderungen zu verstehen, statt sie vorschnell moralisch zu bewerten. Denn in jeder Krise steckt zwar eine Chance, doch genauer muss es heißen: Die Krise der einen ist die Chance der anderen. „Was nun?“ ist kein Alarmbuch, sondern ein Denkbuch. Liessmann gelingt es, den Lärm der Gegenwart zu dämpfen und den Blick zu schärfen für das, was Krisen uns lehren können: dass sie nicht das Ende, sondern der Prüfstein unserer Urteilskraft sind.