Über dem Nebelmeer

Die Gesellschaft der Musikfreunde Bregenz begeisterte mit ihrem Herbstkonzert.
Bregenz Die Obfrau der Gesellschaft der Musikfreunde Bregenz, Anita Einsle, ging kurz vor Beginn des Konzerts auf das Programm des Abends ein, aber eigentlich holte sie das Publikum mit einer leisen, aber feinen Geschichte, die die Liebe zur Musik in den Mittelpunkt stellte, ab. Die Wahl des Programms lag wieder einmal mehr in den Händen des bewährten Dirigenten und musikalischen Leiters, Hansjörg Gruber, der damit einen musikalischen Bogen vom dramatischen Ausdruck der Klassik zur inneren Leidenschaft der Romantik – von Christoph Willibald Gluck über Anton Vranitzky zu Franz Schubert – spannte, und damit zeigte, wie sich das Ideal des musikalischen Ausdrucks wandelt: von der dramatischen Klarheit zur persönlichen Emotion, von der klassischen Objektivität zur romantischen Innerlichkeit: In Schuberts „Tragischer Sinfonie“ wird schließlich der Kampf des Menschen mit sich selbst hörbar.
Das Ganze stand unter dem Motto: Licht für die Seele; geschuldet den tristen Novembertagen, wenn sich vor allem unten im Rheintal der Hochnebel breit macht und man weiß, dass über 700 Meter Meereshöhe lichtdurchflutete, prächtige Herbsttage auf einen warten. Das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde Bregenz ist ein Laienorchester auf hohem Niveau, mehr als ein Klangkörper, ein kultureller Begegnungsraum, deren Mitglieder ihre Begeisterung, Energie und vor allem ihre Liebe zur Musik einbringen. Das Besondere am Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde Bregenz ist das gemeinsame Musizieren von jungen musikalischen Talenten mit reifen, erfahrenen Musikliebhabern. Das erzeugt eine authentische Musizierfreude, die auch das Publikum unmittelbar spürt. Kompliment vor allem an die Holz- und Blechbläser.
Das musikalische Highlight war zweifellos Anton Vranitzkys „Konzert für 2 Violen und Orchester in C-Dur“ mit den beiden Bratschisten Vincent Nemes und Maximilian Siegers: eine brillante musikalische Symbiose. Sie entlockten ihren Violen warme, dunkle Klänge und schafften dadurch eine dichte, innige, ja geradezu gesangliche Atmosphäre. Ihre Zugabe war eine Tour de Force für Akteur und Instrument: Garth Knox‘ Viola Spaces Nr. 8: Up, down, sideways, round“ (ca. 2000). Knox war u. a. Mitglied des renommierten Arditti Quartets und des Ensemble InterContemporain. Das Stück ist eine Hommage an die Bratsche selbst – sie „tanzt“ in alle Richtungen, die Solisten bewegen sich buchstäblich auf ihrem Instrument: oben, unten, seitwärts, rund. Bogenrotationen, Glissandi, Doppelgriffe, Obertöne – der Klang wird physisch erfahrbar gemacht. Am Schluss standen die „Haare“ ihrer Violabogen in alle Richtungen. Großer Applaus.
Die Zugabe des Orchesters hätte vielleicht etwas „lichtdurchfluteter“ sein können, komponierte doch Jean Sibelius „Valse triste“ („Trauriger Walzer“, 1903) ursprünglich als Bühnenmusik für das Theaterstück „Kuolema“ („Der Tod“): Eine sterbende Frau träumt, sie tanzt noch einmal mit ihren Erinnerungen – vielleicht auch mit dem Tod selbst – also eine Todesvision, wenn auch auf leise, zärtliche Weise. Ein inneres, melancholisches Licht begleitet diese Komposition. „Valse triste“ ist nicht Licht über dem Nebel, sondern Licht im Nebel.
Thomas Schiretz