Ein Großer ist gegangen

Kultur / 28.11.2025 • 11:53 Uhr
Ein Großer ist gegangen
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VN-Kommentar von Walter Fink.

Es war im Sommer des Jahres 1973, der kulturelle Aufbruch in Vorarlberg hatte gerade begonnen. Zuerst mit „Flint“1971, dann 1972 mit den Bregenzer Randspielen, 1973 gab es die „Wäldertage“, bei denen auch Friedrich Achleitner, Architekturikone, Dichter, Mitglied der „Wiener Gruppe“ ein Referat über die „Lederhosenarchitektur“ hielt. Und auf der Ruine Jagdberg wurde die erste große Freilichtinszenierung von Gerold Amann, „Goggalori“, gespielt. Friedrich Achleitner wollte diese Aufführung unbedingt sehen – und er war begeistert von dem, was Gerold Amann mit seinen Musikern, Sängern und Spielern aus dem alten Mythos machte. Musikalische Klänge, die völlig ungewohnt, aber dafür völlig natürlich erzeugt waren, dominierten. Gerold Amann schrieb dazu: „Auf ein hohles Fass schlagen, einen Stock in die Speichen eines kreisenden Wagenrades halten, mit einem Grashalm schnarren, ein Blasinstrument aus Weidenrinden herstellen und darauf spielen können, ein schreckenerregendes Kürbisgesicht anfertigen, auf einer Wassertrillerpfeife spielen,… gehörte früher zu jenen Fertigkeiten, auf die sich jedes Kind auf dem Land verstand.“ Daraus holte sich Gerold Amann die Ideen für seine Kompositionen. Zuerst mit „Goggalori“,, dann mit „Spektakel“, „Apokalypse“ und „Triungulus“. Jedes für sich war großartig, jedes für sich spiegelte die Musikwelt von Gerold Amann. Nun ist der Vorreiter der Neuen Musik in Vorarlberg verstorben. Mit ihm ging ein ganz Großer, einer, der viel mehr gegeben als für sich genommen hat, ein legendärer Lehrer Vorarlberger Komponisten und Musiker, von der sogenannten ernsten bis zur Volksmusik. Eine Unterscheidung, die er ohnehin nie getroffen hatte und die er auch nie gelten ließ.

So wie Gerold Amann keine Grenzen anerkannte, so hielt er es auch mit seinen Kompositionen mit seinen Zusammenarbeiten mit Musikerinnen und Musikern. Er erzählte: „Als Gymnasiast machte ich erste Erfahrungen als Tanzmusiker in Liechtenstein. Als Student in Graz spielte ich in einer Jazzband. An der Musikakademie wurde mir alles Wissenswerte über klassische Musik und deren Vermittlung beigebracht. Und das zusätzliche Psychologiestudium brachte mir speziell zu Prozessen der Wahrnehmung wertvolle Einsichten. Dennoch: Am meisten lernte ich durch Hinhören auf alles, was mir begegnete: Tiere, Maschinen, mein eigener Körper. Ich wurde ein Arrangeur von Schallereignissen aller Art.“ Ein knirschender Fensterflügel wurde ihm ebenso zur musikalischen Idee wie der Gesang eines Vogels, ein rauschender Bach ebenso wie das Kreischen einer Säge. Er war ein großer Lehrer, der zum genauen Hinhören anleitete.
Gerold Amann aber war auch ein politisch streitbarer Mensch. Er mischte sich ein, wenn er glaubte, dass (vor allem in der Kulturpolitik) etwas nicht so lief, wie er es für gut gehalten hätte. Er erhob seine Stimme – auch gegenüber scheinbar Mächtigen. Er erhob sie weniger für sich als für andere, für das Grundsätzliche. So wird diesem Land nicht nur der große Künstler, der außerordentliche Musiker, sondern auch der politische Kopf fehlen. Weit und breit niemand, der ihn ersetzen könnte.