Star-Designer Tom Dixon: “Man darf sich nicht von Kopien auffressen lassen”

Tom Dixon erzählt im VN-Gespräch, wie er sich in einer Welt voller Kopien behauptet und warum er froh ist, in einer Zeit ohne Social Media aufgewachsen zu sein.
Weiler Er begann als professioneller Musiker, schweißte Möbel in der Londoner Clubszene und gehört heute zu den bedeutendsten Designern der Gegenwart. Während seiner Karriere entwarf Tom Dixon für Cappellini den legendären “S”-Chair, leitete als Creative Director die Marke Habitat und wurde 2024 von König Charles III. für seine Verdienste mit dem “Commander of the Order of the British Empire” ausgezeichnet. Heute sind seine Möbel, Leuchten und Objekte in Museen wie dem MoMA, dem Victoria & Albert Museum und dem Centre Pompidou zu sehen. Auf Einladung von Reiter Design in Weiler war der britische Stardesigner zu Gast in Weiler. Im VN-Interview spricht er über seine unkonventionelle Laufbahn, den Umgang mit Kopien, die Rolle von KI und darüber, wie er sich trotz vier Jahrzehnten im Designgeschäft nie langweilen würde.
Ich möchte mit etwas Persönlichem beginnen. Wie sind Sie eigentlich privat eingerichtet?
Dixon Ich habe etwa sieben Jahre in meinem eigenen Studio gelebt, umgeben von Dingen, die ich selbst gemacht habe. Heute ist das etwas anders: Zu Hause umgebe ich mich eher mit inspirierenden Dingen aus der ganzen Welt. Ich versuche, es etwas reduziert zu halten und nur Objekte zu behalten, die Erinnerungen oder Inspiration in sich tragen. Ich reise glücklicherweise viel, sehe vieles und bringe gerne Dinge mit, aber inzwischen habe ich kaum noch eigene Arbeiten zu Hause.

Sie haben als autodidaktischer Designer begonnen und Möbel zusammengeschweißt. Welche Aspekte Ihrer Anfänge prägen Ihre Arbeiten heute noch?
Dixon Ich war ein paar Jahre lang als professioneller Musiker und dann in der Clubszene tätig. All das hat später meine Arbeit als Designer beeinflusst. Ich habe nicht bewusst als Designer begonnen, sondern als jemand, der Dinge wie ein Bildhauer herstellt. Menschen begannen, meine Objekte zu kaufen. Durch die Clubszene hatte ich ein großes Netzwerk. Ich habe sogar in Clubs auf der Bühne geschweißt un zwar performativ, geprägt von meiner Musikerfahrung. Mich haben dort Friseure gesehen, die Spiegel brauchten, oder Modedesigner, die Kleiderständer kauften. So wurde ich über mein Netzwerk zum Designer. Es war ein anderer Zugang als an einer Designschule: Ich habe sofort verkauft, sofort produziert. Ein Designstudent macht pro Semester ein, zwei Projekte. Ich habe im ersten Jahr 20, 50, 100 Stühle gebaut. Es war nicht sehr gut, aber ich habe durchs Tun gelernt.
Ihre Karriere umfasst über vier Jahrzehnte. Welcher Moment war für Sie am prägendsten in Ihrer Entwicklung als Designer?
Dixon Vier Jahrzehnte? Bin ich schon so alt? (lacht). Der wohl prägendste Moment war jener, als ich nach Jahren der Selbstständigkeit einen Job annahm. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits ein Studio mit rund 15 Leuten, wir produzierten Möbel und Objekte für Innenarchitekten, Ausstellungen und italienische Firmen, es war alles ziemlich chaotisch. Dann bekam ich Kinder und wechselte zu Habitat als Creative Director. Habitat hatte 70 Filialen und gehörte zur IKEA-Gruppe. Diese Zeit war für mich wie eine Universität: Ich sah, was Menschen im mittleren Preissegment wirklich kaufen, wie Serienproduktion, Logistik und internationales Sourcing funktionieren. Besonders beeindruckt hat mich, dass dort jedes Jahr eine Million Papiertragetaschen bestellt wurden. Über Design selbst lernte ich in dieser Phase weniger, aber ich konnte mit Designlegenden wie Castiglioni und Sottsass zusammenarbeiten. Das war der größte Wendepunkt. Nach etwa zehn Jahren hatte ich genug davon und begann wieder unter meinem eigenen Namen.

Hat man nach so langer Zeit immer noch genügend Inspirationsquellen?
Dixon Inspiration ist nicht das Problem, im Gegenteil: Heute gibt es fast zu viel davon. Instagram, Pinterest, Ausstellungen. Die Herausforderung ist, eigene Ideen von fremden zu unterscheiden und den eigenen Blick nicht zu verlieren. Mman wird ja quasi überschwemmt. Ich versuche, neugierig und etwas naiv und kindisch zu bleiben. Wenn mich Kerzenhalter langweilen, mache ich eben Teppiche. Wenn mich Teppiche langweilen, dann Mode. Wenn mich Mode langweilt, Elektronik. Ich habe zum Beispiel noch nie ein Telefon entworfen. Es gibt immer etwas Neues. Es gibt keinen Grund, sich zu langweilen.
“Wenn mich Kerzenhalter langweilen, mache ich eben Teppiche. Wenn mich Teppiche langweilen, dann Mode. Wenn mich Mode langweilt, Elektronik.”
Tom Dixon
Sie experimentieren sehr gerne mit Materialien. Welches Material oder welche Technik begeistert Sie derzeit am meisten?
Dixon Ich arbeite derzeit an einem Unterwasserprojekt zur Regeneration von Korallen. Dafür verwenden wir natürlichen Beton beziehungsweise Kalkstein. Das sind an sich keine neuen Materialien, Kalkstein gibt es überall, aber wir nutzen sie auf neue Weise. Grundsätzlich begeistern mich viele verschiedene Materialien, besonders natürliche Stoffe, die man mithilfe neuer Technologien anders einsetzen kann.

Ihre Produkte stehen in den bedeutendsten Museen der Welt. Sehen Sie Ihre Werke eher als Alltagsobjekte oder als Kunstwerke?
Dixon Ich sehe meine Produkte eher nicht als Kunst. Trotzdem ist es schön, in Museen vertreten zu sein. Als Kind haben mich Kunst- und Wissenschaftsmuseen sehr inspiriert, und ich fühle mich dort bis heute sehr wohl, aber als Besucher. (lacht). Was mir gefällt, ist, auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten zu können. Am Anfang habe ich Einzelstücke aus gefundenem Material gebaut. Manche davon stehen heute in Museen, andere wurden später in Serie produziert. Durch meine Arbeit für IKEA konnte ich außerdem günstige, funktionale Produkte entwickeln. Viele meiner frühen Stücke waren ehrlich gesagt weder besonders bequem noch besonders funktional. Heute ist das anders. Aber genau diese Vielfalt mag ich: zwischen Kunst und Design, zwischen Einzelstück und Serienprodukt, zwischen Luxus und Alltag hin- und herwechseln zu können, ohne dogmatisch zu werden.

Ihre Designs sind weltweit bekannt. Das birgt auch die Gefahr, dass sie imitiert werden. Wie stehen Sie dazu, dass Ihre Produkte so häufig kopiert werden?
Dixon Erschreckend ist, wie schnell das heute geht. Einen Stuhl, den wir in Mailand gezeigt haben, gab es in Shanghai bereits als Kopie im Laden, bevor unser eigenes Modell überhaupt produziert war. Das ist ein riesengroßes Problem, aber man muss da gelassen bleiben. Ich kenne Leute, die von ihrer Besessenheit, kopiert zu werden, geradezu aufgefressen werden und dann entwerfen sie irgendwann gar nichts Neues mehr. Ich halte es für wichtiger, weiterzugehen und am nächsten Projekt zu arbeiten. Auch deshalb wollte ich eine eigene Marke aufbauen. Menschen kaufen heute nicht nur ein Produkt, sondern ein ganzes Universum, ein Konzept. Und ja, es ist frustrierend, wenn sogar im Hotel, in dem ich wohne, gefälschte Versionen meiner Lampen hängen.
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Kann man es trotzdem irgendwie als Kompliment für seine Arbeit verstehen?
Dixon Nein. Ich meine, ja. (…) Nein. Aber ich habe auch gelernt, kreativ darauf zu reagieren. Eine meiner Messinglampen wurde so oft billig in Aluminium kopiert, dass ich selbst eine Variante aus rohem Aluminium entworfen habe, aber ehrlicher und moderner. Ein anderes Modell heißt ‚Unbeaten‘. Ein kleines Wortspiel darüber, sich nicht geschlagen zu geben. Preislich kann ich natürlich nicht mit den billigsten Kopien mithalten, die kosten nur ein Viertel. Aber ich kann etwa auf die Hälfte gehen und erklären, was Original, Kopie, Fake und “autorisierter Fake” unterscheidet.

Wie werden Nachhaltigkeit und verantwortungsvolle Produktion Ihrer Meinung nach die nächste Generation von Möbel- und Lichtdesign prägen?
Dixon Ich glaube, je mehr man über Nachhaltigkeit weiß, desto komplizierter wird es. Die Leute wollen eine einfache Antwort darauf, wie wir die Welt retten werden, aber in Wirklichkeit ist es manchmal unmöglich, eine Lösung für alles zu finden. Für uns ist Langlebigkeit der wichtigste Ansatz: langsamer Konsum statt Wegwerfmentalität. Mein Vorbild ist der Schreibtisch meiner Urgroßmutter: Sie kaufte ihn in den 1920er-Jahren als Antiquität, und er ist bis heute in Gebrauch. Das ist wohl die nachhaltigste Form, die es gibt.
Welchen Rat würden Sie jungen Designern geben, die wie Sie früher außerhalb traditioneller Ausbildungswege starten wollen?
Dixon Früher war es schwierig, überhaupt sichtbar zu werden. Heute erreicht man die Welt in Sekunden. Man kommuniziert über Instagram, verkauft über Etsy und kassiert mit PayPal. Die eigentliche Herausforderung ist: Wie steche ich aus der Masse heraus? Und das wird mit KI im Übrigen noch schwieriger. Mein Rat: Finden Sie Ihre eigene Stimme und versuchen Sie nicht, jemand anderes zu sein.

Beeinflusst die Künstliche Intelligenz Ihre Arbeit?
Dixon Sie beeinflusst ein wenig die Art und Weise, wie wir arbeiten. Sie gibt uns ein sehr mächtiges, zusätzliches Werkzeug an die Hand. Ich finde sie schon beängstigend, aber sie ermöglicht es uns, Dinge zu beschleunigen. Viel beängstigender ist die KI allerdings in Zusammenhang mit Kriminalität oder Krieg als im Design. Man kann sich zwar ein bisschen um seinen Job sorgen, aber die wirklich existenziellen Bedrohungen liegen in Bereichen wie Banken, Sicherheit und Drohnen.
Und wie wichtig ist Ihnen Social Media für Ihre Arbeit?
Dixon Social Media ist für uns auf jeden Fall wichtig. Wir sind darin eigentlich ganz gut und haben 750.000 Follower. Das ist natürlich lächerlich im Vergleich zu Justin Bieber, aber in unserer Design-Welt ist das in Ordnung. Ich doomscrolle wie alle anderen. Es ist Teil des Problems, gleichzeitig aber auch großartig, weil man damit die ganze Welt erreichen und zig Rückmeldungen bekommen kann. Ich glaube aber auch, dass es sehr schädlich für Gehirne sein kann, die sich noch entwickeln. Ich bin wirklich froh, dass ich auch in einer Zeit vor Social Media gelebt habe.