Gelebte Erinnerungskultur im vorarlberg museum

Kultur / 05.12.2025 • 13:49 Uhr
DSC_9458.jpg
Mit einem Jahresrückblick und dem Ausblick auf einen neuen Themenschwerpunkt zur Erinnerungskultur blickt Direktor Michael Kasper auf das Jahr 2026. René Fischer

Michael Kasper: “Wir bewahren nicht nur Geschichte, wir befragen sie”.

Bregenz Mit einem dichten Rückblick auf das vergangene Jahr und einem thematisch ambitionierten Ausblick präsentierte Direktor Michael Kasper das kommende Jahr im vorarlberg museum. Acht große Ausstellungen und Installationen prägten 2025, ein Programm, das sowohl historische Tiefenschichten offenlegte als auch aktuelle Diskurse mit künstlerischen Mitteln befragte. Für 2026 kündigte Kasper den Beginn eines langfristig angelegten Themenschwerpunkts zur Erinnerungskultur an, flankiert von neuen Vermittlungsformaten und strukturellen Erweiterungen.

Delphina_Burtscher__c__Nachlass_Familie_Burtscher.jpg
Die dritte Ausstellung ist eine biografisch motivierte Recherche zur Geschichte von Delfina Furccia und drei Deserteuren aus dem Großen Walsertal. Nachlass Familie Burtscher

Für 2026 plant das Museum erstmals einen Themenschwerpunkt mit längerer Laufzeit, etwa eineinhalb Jahre. „Erinnerungskultur ist nichts, das man einmal behandelt und dann als abgeschlossen betrachtet. Für uns ist sie ein dauerhafter Auftrag“, betont Kasper. Geplant sind mehrere Ausstellungen, flankiert von Publikationen, Veranstaltungen und Vermittlungsangeboten. „Wir wollen Räume öffnen, Fragen stellen und zugleich Verantwortung übernehmen, für das, was war, und für das, was kommt.“

Topografie_der_Erinnerung__c__Lukas_Birk.jpg
Lukas BirkLukas Birks „Topografie der Erinnerung“ wird im Atrium zu sehen sein.

Drei Ausstellungen bilden das Zentrum: Der Bregenzer Lukas Birk eröffnet mit „Topografie der Erinnerung“, zehn biografische Geschichten aus verschiedenen Kontinenten spiegeln globale Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Eine indische Krankenschwester, ein Feldkoch aus Kenia, ein japanischer Soldat, eine philippinische Guerillaführerin oder eine von Stalin deportierte Krimtatarin: sie alle erzählen in der Ich-Form von Krieg, Verlust und Hoffnung. Ihre
Stimmen verbinden sich durch Fotografien, Karten, Archivmaterialien und Tonaufnahmen zu einer vielschichtigen Erzählung. Die Ausstellung zeigt, wie Menschen in verschiedenen Erdteilen den Zweiten Weltkrieg erlebt und erinnert haben jenseits europäischer Perspektiven und vertrauter Erinnerungskulturen.

Ghoerige_Stube_Modellfoto__c__ERDEN_Studio.jpg
ERDEN StudioAb dem kommenden Februar gibt es im vorarlberg museum eine “Ghörige Stube“.

Am 8. Mai folgt die Hauptausstellung „Baustelle Erinnerung, Hitler entsorgen“, eine Kooperation mit dem Haus der Geschichte Österreich. Sie thematisiert den gesellschaftlichen Umgang mit materiellen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus. Die Ausstellung zeigt, wie tief Ideologie und Vereinnahmung in Kunst und Volkskultur verankert waren und wie vieles nach 1945 weiterwirkte. Dokumente und Objekte machen bisher wenig beachtete Aspekte der Vorarlberger Kulturgeschichte sichtbar. Ein Schwerpunkt liegt auf NS-Gegenständen aus privatem Besitz, die bis heute in Haushalten auftauchen und Fragen nach Umgang, Herkunft und Bedeutung aufwerfen. „Baustelle Erinnerung“ lädt dazu ein, diese Objekte kritisch zu betrachten und über eine wachsame Erinnerungskultur ins Gespräch zu kommen. Ergänzend richtet das Museum den Blick auf bislang wenig beleuchtete Bestände der eigenen Sammlung: etwa auf die NS-Zeit in der Volkskultur oder auf ideologische Verstrickungen regionaler Kunstschaffender in den 1930er- und 1940er-Jahren.

DSC_9478.jpg
René Fischer

Als dritte Ausstellung ist eine biografisch motivierte Recherche zur Geschichte von Delfina Furccia, und drei Deserteuren aus dem Großen Walsertal geplant. 1944 unterstützte die 18-Jährige heimlich ihre desertierten Brüder Willi und Leonhard sowie ihren Verlobten Martin, die sich im Wald versteckten. Der Verrat eines Nachbarn führte zu ihrer Verhaftung, kurz vor der Entbindung ihres ersten Kindes. Willi und Martin wurden hingerichtet, Leonhard entkam. Die Ausstellung rückt Delphina ins Zentrum: Familiäre Erinnerungsobjekte, eine fotografische Spurensuche, historische Dokumente und Stimmen aus dem Heute werfen auch grundsätzliche Fragen auf: Was bewegte Deserteure? Was leisteten Frauen wie Delphina damals? Und wie erinnern sich ihre Enkelinnen heute an ihr „Omile“?

DSC_9467.jpg
René Fischer

Im Februar wird die „Ghörige Stube“ eröffnet, ein als „Dritter Ort“ konzipierter Raum für Gespräche, kleinere Veranstaltungen und informelle Vermittlung. Ausgestattet mit Montafoner Tisch, Kanapee und Ofen soll der Raum auch Aufenthaltsqualität für ein Publikum bieten, das nicht allein wegen der Ausstellungen kommt.

DSC_9450.jpg
René Fischer

Die Kunstankäufe des Landes werden ab 2026 im Palais Liechtenstein gezeigt, im März folgt das Projekt „Perfect Match“ von Silvia Salzmann: Eine Installation mit Boxring und Performances zum Thema Gewalt gegen Frauen.