Leiden und Gott ist kein Widerspruch

Leserbriefe / 17.04.2020 • 17:53 Uhr

Zum 75. Todestag von Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Kein anderes theologisches Buch des 20. Jahrhunderts hat einen nachhaltigeren Eindruck ausgeübt als Bonhoeffers Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Auf geschätzte sechshunderttausend Exemplare beläuft sich die deutsche Ausgabe dieses Bandes, der inzwischen in 19 Sprachen übersetzt wurde. Bonhoeffer kann zu einem Beispiel für gelebten Glauben im Leben und im Sterben werden. Es lohnt sich, seine politische Ethik in die jeweilige Gegenwart und Zukunft zu transponieren. Der Brückenschlag in die Vergangenheit kann tatsächlich zu einem in die eigene Zukunft werden, gerade indem anscheinende Widersprüche des Glaubens wahrgenommen und durchgehalten werden: „der leidende Gott und der verheißende Gott, die einfache Ethik und die verflixt schwer zu lebende Ethik, der Tod als Feind und der Tod als Bruder, Verlassenheitsschrei am Kreuz und die Gewissheit der endgültigen Wirklichkeit Gottes.“ Bonhoeffers Gottes- und selbstgewisse Art des Glaubens war verknüpft mit Einfühlsamkeit in andersdenkende Menschen und in seiner Schule ist eine Empathie für Verzweifelnde zu lernen. Bonhoeffer hat insbesondere auch für Christen, die in Unterdrückungssituationen und -systemen lebten und leben, große Bedeutung. Seine Gedanken geben Antworten auf die Frage, wer Christus für uns heute sein könnte. Unserer Realität und seiner Radikalität angemessen wäre, Gott beim Wort zu nehmen.

Dr. Hella Hagspiel-Keller,
Religionsphilosophin, Bregenz