Der Energieboykott – Europas schärfste Waffe
Der Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz (1780 bis 1831) vertrat nach den napoleonischen Kriegen die Ansicht, dass ein Krieg keine Ruhe finde, bis er am Äußersten angelangt sei; wenn also der Gegner völlig niedergemacht ist oder es einen Friedensschluss gibt. Beides ist in der Ukraine nicht in Sichtweite. Solange Russlands Truppen morden und zerstören, so lange wird auch die EU die Sanktionsschrauben drehen. So gesehen kann, ja muss die Geschlossenheit der 27 EU-Mitgliedsstaaten gegen den Kreml als größte außen- und sicherheitspolitische Leistung seit Bestehen bezeichnet werden (zu der mit Sicherheit auch der US-Präsident Joe Biden beigetragen hat). In Friedenszeiten haben wirtschaftliche Interessen einen Schulterschluss aller EU-Staaten gegenüber einer Bedrohung verlässlich untergraben. Eine Wiederholung in diesem Fall wäre fatal. Dass die EU-Spitze nun formuliert, ein Energieboykott werde kommen, aber nicht schnell, kann man als zu zögerlich oder auch feig interpretieren. Oder aber als kluger Versuch, die Geschlossenheit der Union in der Konfrontation mit dem Kreml unbedingt zu wahren und Putin im Zweifel zu lassen. Europas größte Chance auf Stärke liegt in der Union ihrer Mitglieder. Dass Orbans Ungarn mit dem Krieg Wahlen gewinnt und es sich mit Russland opportunistisch nicht verscherzen will, trübt die Geschlossenheit, nicht aber den eingeschlagenen Weg.
Dr. Günter Felder, Dornbirn