Herausforderung als Schulfach

Markt / 12.11.2013 • 21:03 Uhr
Margret Rasfeld bei ihrem Vortrag in Bregenz. Foto: VN/Paulitsch
Margret Rasfeld bei ihrem Vortrag in Bregenz. Foto: VN/Paulitsch

Querdenkerin Rasfeld glaubt, dass nur die „menschliche“ Wirtschaft überleben wird.

Schwarzach. Margret Rasfeld ist eine glühende Verfechterin der Gesamtschule und davon überzeugt, dass nur Bildungseinrichtungen mit ganzheitlichen Angeboten, die geprägt sind von Toleranz und Offenheit, den Schlüssel zu einer besseren Welt liefern. In ihrer Schule gibt es Fächer wie Verantwortung und Herausforderung, wo die Schüler praxisnah bestimmte Haltungen lernen. Rasfeld ist davon überzeugt, dass künftig nur eine menschlichere Wirtschaft auch eine erfolgreiche Wirtschaft sein wird.

Frau Rasfeld, kann man Sie als deklarierte Anhängerin einer Gesamtschule bezeichnen?

Rasfeld: Ja, das kann man. Ich trete für ein inklusives Schulsystem ein. Das heißt, ein Schulsystem für alle Kinder und Jugendlichen. Ein Gymnasium etwa schließt bestimmte Gruppen aus. Natürlich gibt es gute und schlechte Gymnasien, so wie es auch gute und schlechte Gesamtschulen gibt. Aber ich bin gegen diesen Defizitblick von Lehrern auf Kinder. Nach dem Motto: Ist dieses oder jenes Kind gut genug für eine bestimmte Schule? In einem differenzierten Schulsystem werden Lehrer zu einer Negativ-Auslese gezwungen. Man fragt sich dabei nicht, wie ein Kind damit umgeht.

Warum sind Sie eine so beliebte Referentin zum Thema Schule?

Rasfeld: Weil ich für eine Vision stehe und nicht für eine Reparatur. Weil ich begeistern kann. Weil ich
bei meinen Vorträgen auch immer Schüler mit dabei habe.

Wie ist das Leitbild Ihrer Schule (Anm.: Evangelische Gemeinschaftsschule Berlin-Zentrum)?

Rasfeld: Unsere Schule fußt auf drei Säulen: Auf das Lernen, Wissen zu erwerben, auf das Lernen des zusammen leben und auf das Lernen zu handeln. Wir verstehen uns als Haus des Lernens.

Wo liegen Ihre Berührungspunkte mit der Wirtschaft – immerhin sind sie von einer Wirtschaftsorganisation hier nach Bregenz eingeladen worden?

Rasfeld: Die Wirtschaft braucht in Zukunft keine Pflichterfüller mehr. Die Wirtschaft braucht Menschen, die klar denken könnnen, die in der Lage sind, in einem Team zu agieren, die risikobereit sind, die Perspektivenentscheidungen treffen können, die wertschätzend miteinander kommunizieren und die innovativ sind. In der Wirtschaft werden künftig nur noch jene bestehen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Denn es ist nicht mehr möglich, die Effizienz noch mehr zu steigern. Das halten Menschen nicht mehr aus.

Sind Lehrer Ihrer Meinung nach Coaches oder doch die dominanten Personen in einem Lernprozess, wie das der Erziehungswissenschaftler John Hattie propagiert?

Rasfeld: Eines ist klar: Lernen läuft über Beziehungen. Die Beziehungskultur ist wesentlich für den Erfolg. Aber die Zeit der Frontalbeschallung durch den Lehrer hat ausgedient. Beim Coachen spielt der Lehrer eine wichtige Rolle.

Studien von renommierten Jugendforschern kommen zum Schluss, dass die Jugend noch nie so egoistisch, materialistisch und karriereorientiert war wie heute. Wie kann die Schule dem entgegenwirken?

Rasfeld: Also ich kenne da Studien, die ein anderes Bild von der heutigen Jugend zeigen. Unser Bestreben ist es auf jeden Fall, mitzuhelfen, dass sich Schüler zu Menschen mit viel Herzkraft und Menschlichkeit entwickeln.

Sie stehen einer evangelischen Schule vor. Wie wichtig ist bei Ihnen Glaube und Religion?

Rasfeld: Unsere Schule ist in Berlin ein Spezifikum. Es gibt hier keinen verpflichtenden Religionsunterricht. Nur bei uns ist Religion ein Pflichtfach. Es gibt einen Gottesdienst pro Monat, und wir beten auch täglich ein gemeinsames Vaterunser. Jene, die das wollen. Wir haben jedoch Schüler von verschiedenen Konfessionen. Wir führen die Fächer Verantwortung und Herausforderung, in denen unsere Schüler praxisnah diese Begriffe leben, sich in den Dienst des Gemeinwesens stellen. Oder, wie im Fach Herausforderung etwa, von Berlin nach Hamburg wandern; oder die Alpen überqueren.

Sie sind eine Privatschule. . .

Rasfeld: Ja, das sind wir. Doch das Schulgeld ist für niemanden ein Grund, nicht in unsere Schule kommen zu können. Wir heben die Beträge sozial gestaffelt ein.

Birgit Petermann,38, FeldkirchWir befinden uns im Umbruch – was ich sehr positiv finde. Die Frage ist, inwieweit wir zur Umsetzung beitragen können, um schlussendlich Lernlust statt Lernfrust zu forcieren.
Birgit Petermann,
38, Feldkirch
Wir befinden uns im Umbruch – was ich sehr positiv finde. Die Frage ist, inwieweit wir zur Umsetzung beitragen können, um schlussendlich Lernlust statt Lernfrust zu forcieren.
Dagmar Schröter,43, ZürichDie Revolution ist in vollem Gange. Wir sehen, wohin es gehen wird und soll. Ich finde, es ist bezeichnend, dass sich heute sogar die Wirtschaftskammer schon der Leiden der Schüler annimmt.
Dagmar Schröter,
43, Zürich
Die Revolution ist in vollem Gange. Wir sehen, wohin es gehen wird und soll. Ich finde, es ist bezeichnend, dass sich heute sogar die Wirtschaftskammer schon der Leiden der Schüler annimmt.
Günther Vogel,57, BregenzEs muss sich definitiv etwas ändern – insbesondere der Stellenwert der Bildung in unserer Gesellschaft. Veränderungen werden kommen, sich dagegen wehren zu wollen, ist völlig zwecklos.
Günther Vogel,
57, Bregenz
Es muss sich definitiv etwas ändern – insbesondere der Stellenwert der Bildung in unserer Gesellschaft. Veränderungen werden kommen, sich dagegen wehren zu wollen, ist völlig zwecklos.
Romana Gruber,57, BregenzEs war sehr viel Bekanntes dabei, was jedoch sehr gut dargestellt wurde. Die neuen Impulse, die präsentiert wurden, vermitteln die Hoffnung, dass es im Bereich Bildung aufwärtsgehen wird.
Romana Gruber,
57, Bregenz
Es war sehr viel Bekanntes dabei, was jedoch sehr gut dargestellt wurde. Die neuen Impulse, die präsentiert wurden, vermitteln die Hoffnung, dass es im Bereich Bildung aufwärtsgehen wird.
Sylvie Paillier,53, GötzisIch bin Mutter von zwei Jugendlichen. Die heutige Veranstaltung lieferte mir auch einige Denkanstöße für mein eigenes Verhalten und meine Erwartungen bezüglich des Lernens.
Sylvie Paillier,
53, Götzis
Ich bin Mutter von zwei Jugendlichen. Die heutige Veranstaltung lieferte mir auch einige Denkanstöße für mein eigenes Verhalten und meine Erwartungen bezüglich des Lernens.

Zur Person

Margret Rasfeld

Margret Rasfeld ist die Schulleiterin der Evangelischen Schule Berlin- Zentrum und Mitbegründerin der Initiative „Schule im Aufbruch“. Sie stammt ursprünglich aus Essen und lehrte zwischen 1976 und 1992 an Gymnasien in Nordrhein-Westfalen . Seit 1992 engagiert sie sich intensiv für die Gesamtschule. Ihre Schule in Berlin ist eine sogenannte „Agenda“-Schule, deren Grundsätze Schulen aus 170 Staaten der Welt verbindet. Margret Rasfeld erhielt eine Vielzahl an Auszeichnungen für ihr pädagogisches Wirken und trat auch als Autorin mehrerer wissenschaftlicher Publikationen in Erscheinung. Margret Rasfeld ist 62 Jahre alt.