“In einer Illusion gelebt”

Österreich beschäftigt sich mit den falschen Themen, sagt WKÖ-Chef Christoph Leitl.
Kitzbühel. Für Österreichs Wirtschaftskammer-Präsidenten Christoph Leitl ist die Zeit des „Durchwurschtelns ohne notwendige Reformen“ nun vorbei.
Herr Präsident, Österreich leidet an der schwachen Konjunktur. Ihr Befund?
Leitl: Im Vorjahr wurden 1,8 Prozent Wachstum prognostiziert, herausgekommen sind fast null. Damit fehlten den öffentlichen Haushalten 1,5 Mrd. Euro. Heuer sind es noch einmal 25.000 Arbeitsplätze weniger und ein Minus von 1,5 Mrd. Euro bei den Steuern. Alarmierend ist, dass Österreich erstmals hinter dem EU-Schnitt liegt.
Sie haben vor eineinhalb Jahren mit Ihrer Kritik, dass Österreich zunehmend absandle, für Debatten gesorgt. War das ein erfolgreicher Weckruf?
Leitl: Es wurde das Bewusstsein geschaffen, dass wir gegenüber der Spitze immer weiter in Richtung Durchschnitt absinken. Der Weckruf ist also weiterhin aktuell. Ich sage: Die Zeit des Wünschens ist vorbei, des Durchwurschtelns ohne notwendige, aber aus Mutlosigkeit nicht in Angriff genommene Reformen.
Wo sehen Sie denn derzeit die größten Versäumnisse?
Leitl: Wir beschäftigen uns mit den falschen Themen, Mittelstand belasten statt entlasten, die Bürokratie wird nicht angegangen, wir sündigen bei Innovation, Wissenschaft, Forschung und Qualifikation.
Ist die Bundesregierung Impulsgeber oder Bremsklotz?
LEitl: Wir müssen es schaffen, den Kaufkraftverlust zu stoppen und die Substanz der Betriebe zu stärken. Heuer haben wir eine KV-Lohnerhöhung von 2 Prozent. Diese kostet die Betriebe
3 Prozent, aber nur 1 Prozent kommt bei den Leuten an. Trotzdem können wir das Budget nicht ausgleichen im Gegensatz zu den Deutschen. Wir haben wie Deutschland mehr Jobs, Lohnerhöhungen und günstige Zinsen für die Staatsschulden. Die Deutschen haben keine Steuererhöhungen und investieren in die Kaufkraft.
Die SPÖ will eine Form von Vermögens- bzw. „Reichen“-Steuer.
LEitl: Wir brauchen einen Schulterschluss von Wirtschaft und Beschäftigten. Da die Arbeitnehmer, die eine Reichensteuer wollen und dort die bösen Millionäre, denen was weggenommen wird, dieses Kastldenken ist absurd und passt nicht ins 21. Jahrhundert. Hier an der Steuerschraube zu drehen ist ein absolutes No-Go.
Wird die Steuerreform als Reförmchen enden?
Leitl: Bei dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, werden die Leute sagen, das war ein Getöse. Zwei Jahre geredet und gestritten und dann kommt das heraus. Mein Vorschlag ist ein anderer: Betriebe, die gut gehen, sollen pro Jahr 1000 Euro Prämie an Mitarbeiter auszahlen können mit 25 Prozent Pauschalabgabe als KÖSt.-Ersatz. Der Finanzminister verliert nichts, die Betriebe zahlen Geld, das sonst im Unternehmen bliebe, an ihre Mitarbeiter, und diese haben von den 1000 Euro 750 netto auf der Hand.
Sie drängen auf ein Konjunkturpaket. Ist das finanzierbar?
Leitl: Unsere Überlegungen sind wirkungsvoll und belasten das Budget nicht. Es braucht eine Exportbelebung außerhalb Europas. Wir bauen pro Jahr in Österreich 7000 Wohneinheiten zu wenig. Warum bauen wir die 7000 Wohnungen nicht? Ein paar Millionen werden wir haben, pro Tag gehen allein 25 Mill. Euro Bundeszuschuss für die Pensionen auf.
Hat sich Österreich zu lange schöngeschminkt?
Leitl: Österreich hat tatsächlich in einer Illusion gelebt. Ich hätte mit meinem Befund gern unrecht gehabt. Wir haben so viel Potenzial, und wir fordern als Wirtschaft, dass unsere ungeheuren Potenzial genutzt und nicht vergeigt werden.
Das Interview führten die Chefredakteure der Bundesländerzeitungen in Kitzbühel.