“Die Regeln schrecken Abzocker ab”

Ökonom Ernst Fehr und Unternehmer Jürg Zumtobel setzen auf Transparenz.
Zürich. Ernst Fehr, aus Hörbranz stammender Professor für Mikroökonomik und Experimentelle Wirtschaftsforschung, sowie Vorsitzender der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich, und Jürg Zumtobel, Aufsichtsratsvorsitzender und Mehrheitsaktionär der Zumtobel Group, verfolgen gemeinsame Interessen.
Transparente Entscheidungen
Die beiden Vorarlberger haben sich nicht weniger vorgenommen, als Management nachhaltiger zu gestalten, was bereits beim Dornbirner Lichtkonzern implementiert wurde, und auch die Aufsichtsfunktionen auf eine neue Basis zu stellen. Ziel ist es, dass die Entscheidungen und vor allem ihre langfristigen Auswirkungen transparent sind für Mitarbeiter, Aktionäre und die Öffentlichkeit. „Damit nimmt Zumtobel eine Pionierrolle ein“, betont Fehr, der weltweit als einer der wichtigsten Wirtschaftswissenschaftler der Gegenwart gilt und für den Nobelpreis nominiert wurde, im Gespräch mit den VN.
Jürg Zumtobel, langjähriger Vorstandsvorsitzender und seit 2003 Aufsichtsratsvorsitzender der Zumtobel Group, hat bereits 2011 die Zusammenarbeit mit Fehr Advice, dem von Ernst Fehr gegründeten Beratungsunternehmen gesucht, und Regeln für das Management aufgestellt, die dies gewährleisten sollen. Seit Mai 2012 ist die variable Entlohnung für das Management neu geregelt. Eine über drei Jahre gestaffelte variable Entlohnung, in der die Tranchen mit dem Zielerreichungsfaktor des jeweiligen Jahres bewertet werden, gewährleistet den Fokus auf nachhaltige Entscheidungen, erklärt Fehr. Die Leistungskennzahl dafür ist das absolute EBIT, welches mit dem Ergebnis ähnlich strukturierter Unternehmen verglichen wird. Dieser Leistungsindikator berücksichtigt auch Faktoren, auf die die Manager keinen Einfluss haben – im Negativen wie im Positiven, wie Währungs- und Konjunkturschwankungen. Die derzeit praktizierten Kompensationsmodelle im Topmanagement sind für Fehr zu 80 Prozent Fehlkonstruktionen.
Strategie im Vordergrund
Die Vorteile liegen auf der Hand. „Die Manager treffen Entscheidungen nicht mit Blick auf einen Jahresbonus, sondern sind bemüht, zukunftsfähige Entscheidungen zu fällen, die oft erst nach Jahren Wirkung zeigen.“ Ein weiterer Vorteil: „Dieses System schreckt Abzocker ab“, so Fehr. Und man rede nicht immer über Vergütungen, sondern über die Strategie, ergänzt Zumtobel: „Früher haben wir über die Verteilung des Kuchens gesprochen, jetzt endlich wieder über die Produktion.“
Sparringpartner für Vorstand
Nun geht das gemeinsame Projekt in die nächste Phase, es geht um die Professionalisierung des Aufsichtsrates. „Ich sehe mich als Aufsichtsratspräsident als Sparringpartner für das operative Management“, beschreibt Zumtobel seine Sicht der Dinge. Heutzutage sei es in einem Unternehmen, das auf dem globalen Markt agiert, wichtig, dass der Aufsichtsrat eine weit aktivere Rolle spielt, stellt auch Fehr fest. Das bedeutet Abschied nehmen von den bisherigen Aufsichtsratsgepflogenheiten in Österreich: Hochprofessionelle Fachleute in allen Bereichen, von der Produktion über die Forschung bis zur Finanzierung, müssen kontinuierlich den Austausch mit dem Vorstand pflegen und sich nicht nur vier Mal im Jahr zur Sitzung treffen, kurz und gut: Der Aufsichtsrat muss professionalisiert werden. Außerdem seien die Anforderungen gestiegen: Wachsende Haftungsrisiken, erhöhte Komplexität der Geschäftsmodelle sowie die Internationalisierung von Geschäftsmodellen. Die Zeiten haben sich geändert, dass musste auch der Vorarlberger Weltmarktführer erfahren, der aufgrund nicht getroffener Entscheidungen gegenüber der Konkurrenz massiv an Terrain verlor, bevor Zumtobel in den vergangenen zwei Jahren zu einer Aufholjagd ansetzte.
Die Aufwertung des Aufsichtsrates ist für Fehr notwendig. Er verweist dabei auch auf die angelsächsischen Aufsichtsmodelle, in denen die Zusammenarbeit mit dem Vorstand deutlich intensiver ist als in Deutschland oder Österreich. Und für diese Mehrarbeit sollen die Aufsichtsorgane besser bezahlt werden, auch in diesem Bereich herrsche der Wettbewerb um die besten Köpfe. In Österreich hinken die Entschädigungen nach wie vor weit hinter der Schweiz oder z. B. den USA her.
Aber „wenn ordentliche Arbeit geleistet wird, muss das auch bei uns dementsprechend honoriert werden“, begründet Zumtobel eine bessere Bezahlung der Aufsichtsräte. Fehr Advice empfiehlt Zumtobel im Zuge der Neuordnung u. a. ein sogenanntes „Sounding Board“, das sich kontinuierlich mit strategischen und kulturellen Fragen beim Lichtkonzern beschäftigt. Quasi als Hilfestellung für den Aufsichtsrat, damit dieser seine Verantwortung effektiv wahrnehmen könne. Das Modell bei Zumtobel habe Pioniercharakter, so Fehr, und wäre natürlich auch für andere Unternehmen empfehlenswert.
80 Prozent der Kompensationssysteme im Topmanagement sind Fehlkonstruktionen.
Ökonom Ernst Fehr
Personen und Unternehmen
» Univ. Prof. Dr. Ernst Fehr, 59, ist Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Mikroökonomik und Experimentelle Wirtschaftsforschung, Mitbegründer der Neuroökonomie und einer der meist zitierten Ökonomen der Welt. Der aus Hörbranz stammende Wissenschaftler ist ein gesuchter Gesprächspartner für führende Vertreter der Wirtschaft und Politik und wurde im Jahr 2012 für den Wirtschaftsnobelpreis nominiert. Fehr ist u. a. Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences, Mitglied der American Academy of Political and Social Sciences, der Academia Europaea und externes Mitglied der Wirtschaftsfakultät des Massachusetts Institute of Technology.
» Dipl.-Ing. Jürg Zumtobel (69) ist seit 1. September 2003 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Zumtobel Group AG. Zumtobel trat im Jahr 1963 in die Zumtobel Gruppe ein und übte verschiedene Funktionen in Produktionsplanung und -steuerung, Produktion und Vertrieb aus. Von 1991 bis 2003 war er CEO und Vorsitzender des Vorstands der Zumtobel Group AG. Die Familie Zumtobel ist Hauptaktionär des Leuchtenkonzerns.
» FehrAdvice & Partners AG, wurde von Ernst Fehr gegründet und bietet Beratung anhand von Erkenntnissen der verhaltensökonomischen Forschung. Dazu wurde der Behavioral Economics Ansatz entwickelt, mit dem Verbesserungspotenziale in Unternehmen, Märkten und Organisationen identifiziert werden können.