Zwischen Horror und Euphorie

Markt / 31.07.2015 • 22:20 Uhr

Bei kaum einem Thema liegen Horror und Euphorie so nahe beieinander wie bei der Auswirkung der Digitalisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft. Das Horrorszenario sind Millionen von Digitalisierungsverlierern, deren Jobs durch Automatisierung weggerafft werden. Die Oxford-Forscher Carl Frey und Michael Osborne schätzten 2013 das Automatisierungspotenzial in den USA in den kommenden 10 bis 20 Jahren auf 47 % der heute vorhandenen Arbeitsplätze. Im Mai führten Volkswirte der ING-Direktbank eine vergleichbare Studie in Deutschland durch: Hier wackeln sogar knapp 60 % aller Jobs. Was in den Fabriken und Büros an Jobs verloren geht, wird nicht annähernd durch neu entstehende Berufe kompensiert: Selbstständige On Demand-Arbeiter, etwa beim globalen Fahrtendienst-Riesen Uber oder beim Hauszustellungs-Start-up Shopwings, müssen sich selbst um Krankenversicherung und Altersversorgung kümmern. Angesichts dieser Aushöhlung des Sozialpaktes warnt sogar das deutsche manager magazin vor einem „Digitalen Feudalismus“. Am anderen Ende des Spektrums wird euphorisch die „Sharing Economy“ ausgerufen. Für einen ihrer bekanntesten Proponenten – US-Berufsvisionär Jeremy Rifkin – sind die zuvor beschriebenen Umwälzungen nur ein Übergangsphänomen zu einem neuen Wirtschaftssystem. In seinem Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ skizziert er, wie dank der Produktivitätsgewinne durch die fortschreitende Digitalisierung Güter praktisch zum Nulltarif angeboten und geteilt werden. Als Konsequenz können sich Menschen dem sozialen Dienst an der Gemeinschaft widmen.

Welcher Vision man auch eher Glauben schenken mag: Klar ist, dass die Auswirkungen der Transformation massiv sein werden und alle wirtschaftlichen Akteure betreffen: Um überhaupt mittelfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen jedenfalls soweit als möglich ihre Geschäftsmodelle digitalisieren. Diese Umstellung wird auf absehbare Zeit auch eine Vielzahl von Arbeitnehmern erfordern. Diese dürfen sich dabei keinesfalls der laufenden und fordernden Weiterqualifikation verschließen. Ebenso müssen die Gewerkschaften durch konstruktives Mitdenken Teil der Lösung sein. Wer tiefgreifende Änderungen ignoriert, leistet dem Eintritt von Horrorszenarien Vorschub. Ein Annehmen und mutiges Gestalten von Transformationsprozessen birgt hingegen die Chance auf einen positiven Wandel.

Die Auswirkungen der Transformation werden massiv sein.

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Johannes Schneider ist Senior Manager bei Contrast Management-Consulting.