“Wir haben dazu keine Alternative”

Markt / 22.12.2015 • 22:24 Uhr
Ulrich Schumacher: „Wie ich immer gesagt habe, brauchen wir in etwa zwei Jahre, bis unser globales Produktionsnetzwerk steht.“ VN/Steurer
Ulrich Schumacher: „Wie ich immer gesagt habe, brauchen wir in etwa zwei Jahre, bis unser globales Produktionsnetzwerk steht.“ VN/Steurer

Der Strukturwandel in der Zumtobel Group ist noch voll im Gange.

Dornbirn. (VN-sca) Seit drei Jahren baut CEO Ulrich Schumacher den Leuchtenkonzern Zumtobel Group um. Im Gespräch mit den VN berichtet Schumacher über den Stand der Dinge, Unternehmenskultur und Verunsicherungen bei der Belegschaft.

Herr Schumacher, wie geht die Umstrukturierung in der Gruppe voran?

Schumacher: Wir haben vor zwei Jahren eine relativ grundlegende Umstrukturierung durchgeführt, von den vertikalen Strukturen in eine horizontale, flache Organisation in dem Bestreben, das Miteinander zu ermöglichen. Das ist in Summe auf einem guten, wenn auch unterschiedlich schnellen Weg. Die Struktur ist ja nur Mittel zum Zweck, der eigentliche Wandel findet ja in der Frage statt, wie man zusammenarbeitet in internationalen Teams. Wir haben vor zwei Jahren die Idee gehabt, mit einem Vertrieb mehrere Marken zu verkaufen. Vorher hatten wir zwei Vertriebe, die sich wie Wettbewerber verhalten haben. Die Regionen, die schon voll in der neuen Struktur arbeiten, laufen sehr gut – England , Osteuropa und auch Skandinavien wachsen sehr erfolgreich. Das ist der Beweis, dass es der richtige Weg ist. Dass es nicht einfach ist, ist ganz klar. Jetzt haben weitere Regionen begonnen, das Modell umzusetzen, die Region DACH – unser wichtigster Markt –, aber auch Italien haben wieder Fahrt aufgenommen. Die beiden Regionen, wo es noch etwas krankt, sind Frankreich, wo ein extrem schwacher Markt vorherrscht, und der Mittlere Osten. Hier dominieren Architekten meist mit Sitz in den USA den Markt. Und wir waren in den USA dafür nicht optimal aufgestellt, was wir inzwischen ebenfalls geändert haben.

Sie haben Werke verkauft und auch welche geschlossen…

Schumacher: Zumtobel hatte eine sehr große Werkinfrastruktur, 18 Werke, ausgelastet war aber eigentlich nur Dornbirn. Das führte dazu, dass viele Werke Doppelarbeit machten und die Auslastung eines Werkes sich nur dann verbesserte, wenn aus einem anderen Werk etwas verlagert wurde. Damit wurde kein Mehrwert in der Gruppe geschaffen.

Waren das Werke, die zugekauft wurden?

Schumacher: Das waren fast alles Werke, die zugekauft wurden. Man hat diese Strukturen dann über Jahrzehnte belassen. Im gleichen Maße wie der Wettbewerb intensiver wird, wächst der Druck auf die Werke. Wir haben dann begonnen, die Struktur neu auszurichten, aus Werken Kompetenzzentren zu machen, die anders als früher, wo sie nur für eine Marke gearbeitet haben, für das ganze Unternehmen bereitstehen. Wir haben in diesem Bereich schon im letzten Geschäftsjahr einen Schritt nach vorne gemacht, aber das ist schon ein größerer Umbau. Diese gewachsenen Strukturen sind erheblich und der Teufel steckt sprichwörtlich im Detail. In den letzten beiden Jahren haben wir drei Werke verkauft und drei geschlossen. In diesem Zusammenhang haben wir Produktionen nach England verlagert, weil dieses Werk mit ca. 40 Prozent unterausgelastet war. So stieg die Auslastung in Spennymoor auf 60 Prozent, aber wir hatten 125 Prozent mehr Zulieferer und 160 Prozent mehr Teile. Das war eine unheimliche Komplexität, und da hat unsere Performance zeitweise gelitten. Wir haben circa sechs Monate gebraucht, um das zu lösen, und das hat uns das erste Halbjahr etwas verhagelt. Die Restrukturierung des Produktionsnetzwerks ist noch nicht vorbei. Für das vergleichsweise kleine Werk in Usingen (D) suchen wir einen strategischen Partner, um eine größere Auslastung zu erreichen. Was wir noch nicht haben, worauf wir aber hinarbeiten, ist ein globaler Produktionsverbund, wo jedes Werk für eine ganz spezifische Expertise steht. Dornbirn ist ein sehr gutes Beispiel. Niemand kann bei hochindustrialisierten Volumenprodukten mit Dornbirn mithalten. Auch Wettbewerber nicht. Wir haben hier die beste Kostenposition. Nicht, weil wir die niedrigsten Löhne haben, sondern weil wir eine hochautomatisierte Fabrik haben. In Summe sind wir auf gutem Wege, aber noch nicht am Ziel. Wie ich immer gesagt habe, brauchen wir in etwa zwei Jahre, bis unser globales Produktionsnetzwerk steht.

Stichwort Entwicklung. Was passiert in diesem Bereich in der Zumtobel Group?

Schumacher: Es gibt drei Ebenen: Erstens: Wir wollen die interessantesten und tollsten Produkte entwickeln, die es in der Branche gibt. Das hat in den letzten 15 Jahren ein bisschen gelitten. Hier sind wir dabei, wieder an Boden zu gewinnen. Die zweite Ebene sind Plattform-Konzepte. Diese kann man sich wie Legosteine vorstellen, die die Entwickler für verschiedene Leuchten nutzen können. Damit erreichen wir viel kürzere Entwicklungszyklen bei geringeren Kosten. Und die dritte und weitaus anspruchsvollste Ebene ist die Welt der Applikation der Software. Mit Leuchten haben wir den großen Vorteil, dass unsere Produkte in einem Raum an der Decke sind und dort für vernetzte Services genutzt werden können. Die Leuchtenindustrie ist aber in dieser neuen Welt noch eher rückständig. Wir müssen auf allen drei Ebenen erfolgreich sein, denn die Gewinne, die wir mit innovativen Produkten verdienen, brauchen wir dringend, um unser Software-Geschäft aufzubauen – da findet die entscheidende Schlacht statt. Das Beispiel im Fotobereich zeigt es, und auch die Mobilfunk-Industrie hat sich in den letzten zehn Jahren dramatisch verändert. Die einstigen Innovatoren einer ganzen Industrie haben sich verabschiedet, weil sie einfach die Kurve nicht gekriegt haben. Die Aufnahmebereitschaft für diese
Botschaft ist natürlich irgendwo begrenzt, weil sie alles, an das man glaubt, in Frage stellt. Aber genauso habe ich das immer wieder erlebt.

Große Konzerne sind aber auch schwerfälliger…?

Schumacher: Ja, die Schwerfälligkeit und auch die mangelnde Bereitschaft des Managements, voll in diese Veränderung hineinzugehen. Es ist unbequem, Mitarbeitern, die eigentlich einen tollen Job machen, sagen zu müssen, dass die Zukunft anders ist, dass wir jetzt adaptieren müssen.

Trifft das in manchen Bereichen auch auf Zumtobel zu?

Schumacher: In der konventionellen Licht-Welt war man der Innovator schlechthin. Nur das spielt heute keine große Rolle mehr. Heute gibt es die Produkte, für die Zumtobel stand, von vielen anderen Firmen. Es gibt viele kleine Wettbewerber, die sind flexibler, jetzt kauft man dort. Unsere Konkurrenten sind nicht die großen Unternehmen, sondern die kleinen, neuen.

Auch in den deutschen Werken, in welchen es derzeit große Verunsicherung gibt?

Schumacher: Es ist eine schwierige Botschaft, den Mitarbeitern diese massive Veränderung unserer Industrie zu erklären. Wir wissen, dass die Leute verunsichert sind, und arbeiten intensiv an Lösungen. Die Mitarbeiter verstehen aber sehr wohl, dass es Veränderungen geben wird und muss. Aber in solchen Prozessen gibt es auch andere Parteien, die eigene Ziele verfolgen. Und wenn solche Leute sagen, wir sind hochprofitabel, dann versteht der Mitarbeiter noch viel weniger, dass es Veränderungen geben soll. Dass diese Profitabilität mit Bilanzierungsregeln zusammenhängt, ist schwer zu erklären. Das hat mit Profit nichts zu tun, aber das zu argumentieren ist sehr kompliziert. Usingen bekommen wir aus eigener Kraft nicht hin, da brauchen wir einen Partner.

Braucht es auch einen Kulturwandel im Betrieb?

Schumacher: Wir haben eine ganz starke Vorarlberger Kultur. Das war zu Zeiten, als Zumtobel alleine war, super. Heute müssen wir ganz offen sein, wenn es darum geht, internationale Talente an Bord zu holen. Internationalität stellt keine Bedrohung, sondern eine Chance dar. Wir brauchen Leute, die Softwarekompetenz haben, die vom Servicegeschäft was verstehen, die verstehen, wie der weltweite Wettbewerb, der sich eben außerhalb der Lichtbranche abspielt , funktioniert. Es braucht einen großen Aufwand, um diesen Wandel vom lokalen Unternehmen zum internationalen, vom metallverarbeitenden Betrieb hin zu einem innovativen, softwareorientierten Dienstleistungsunternehmen zu moderieren. Wir haben aber keine Alternative dazu.

Wie geht es weiter?

Schumacher: Wir gehen jetzt sehr stark in das Segment der Applikationen hinein. Das heißt z. B., dass wir mit Supermarktbetreibern ein System entwickeln, wie man einen Käufer zu einem bestimmten Ort im Geschäft führt. Dieses System zu entwickeln, diese Software, das ist unser künftiges Geschäft. Das ist ein ganz neues Terrain. Wir müssen dem Kunden erklären, welchen Nutzen er hat, und einen Vorschlag für ganz neue Geschäftsmodelle machen. Die Firma ACDC, die wir gekauft haben, ist ein gutes Beispiel. Durch diese kleine Firma haben wir nochmals eine neue Dynamik hineingebracht. Die machen keine Metallverarbeitung mehr, sondern assemblieren die Komponenten, die der Kunde braucht. Begrenzt wurden die bisher nur durch ihre geringere Kapitalausstattung.

Zumtobel hat ja auch neue kleine Teams gebildet?

Schumacher: Wir versuchen es, kleine Teams zu bilden, um diese Form der Zusammenarbeit hinzukriegen. Im Team schafft es der Mensch immer, sich fachlich auf ein Thema zu fokussieren. Problematisch wird es, wenn aus den Teams größere Produktionseinheiten werden. Dann wird es unhandlich, weil es darum geht, was ist meins, was ist deins. Wir müssen den Wandel besonders im Management vorantreiben, da ist auch die Vorbildfunktion gefragt. Unsere Mitarbeiter sind sehr verständnisvoll. Die haben voll mitgezogen. Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle herzlich danken.

Zumtobel Facts

1. Halbjahr 2015/16

» Umsatz: 702 Mill. Euro (+5,8 %)

» bereinigtes EBIT: 42,3 Mill. Euro (–10,5 %)

» EBIT: 36,9 Mill. Euro (+3,6 %)

» Bilanzsumme: 1,137 Mrd. Euro (+4,7 %)

» Mitarbeiter: 7200 (–0,5 %)

» Ulrich Schumacher, CEO, Ausbildung: RWTH Aachen, Elektrotechnik, Dr. Ing.; Betriebswirtschaftliches Aufbaustudium; Laufbahn: u. a. CEO Grace Semiconductor Corp., Infineon Technologies AG, Siemens AG