“Unternehmen zu leiten, ist keine Wissenschaft”

Markt / 11.10.2016 • 22:18 Uhr
KSV-Insolvenzexperte Hans-Georg Kantner und KSV-Vorarlberg-Statthalter Armin Rupp: „Das darf nicht beunruhigen.“  Foto: VN/Steurer
KSV-Insolvenzexperte Hans-Georg Kantner und KSV-Vorarlberg-Statthalter Armin Rupp: „Das darf nicht beunruhigen.“ Foto: VN/Steurer

Die Insolvenzen in Vorarlberg sind heuer stark gestiegen. Kein Grund zur Sorge, sagt der KSV.

Schwarzach. (VN-sca) Jahrelang glänzte Vorarlberg mit der niedrigsten Insolvenzquote im Österreich-Vergleich, heuer ist es umgekehrt. Ein Plus von 9,8 Prozent steht gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu Buche. In den ersten drei Quartalen 2016 schlitterten 101 Vorarlberger Unternehmen in die Insolvenz. Das sind um neun Verfahren mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2015. 

Höherer Fallout

Die Gläubiger der Vorarlberger Konkursanten fordern in Summe rund 33 Millionen Euro von den Pleitefirmen. Aktuell sind im Land neben vielen „kleinen Insolvenzen“ vier Millionenpleiten zu verzeichnen. Schwächelt die Vorarlberger Wirtschaft? Keineswegs, sagt Hans-Georg Kantner, Leiter des Bereichs Insolvenz beim Kreditschutzverband 1870 (KSV) beim Besuch in der VN-Redaktion. „Je mehr gegründet wird, desto höher ist der Fallout. Das ist aber nichts, was einen beunruhigen darf“, so der Insolvenzexperte. Es hänge auch damit zusammen, dass die Wirtschaft im Land wächst, so gebe es zwar mehr Insolvenzen, aber die Schadenssummen pro Firma sind in der Regel niedriger als in den vergangenen Jahren. Auch sind weniger Mitarbeiter von den Pleiten in der Vorarlberger Wirtschaft betroffen, relativiert Kantner die Zahlen. Dass in den vergangenen Jahren die Ausfälle so niedrig waren, sei ein klassisches Stillstandsproblem, stellt Kantner fest.

Vieles ausprobieren

Auffällig ist, dass in den ersten drei Quartalen 2016 besonders junge Unternehmen aufgeben mussten. Eine Unternehmerprüfung zum Einstieg in die Selbstständigkeit lehnt Kantner dennoch ab. „Wirtschaft hat viel mit trial and error zu tun“, sagt er, vieles müsse man ausprobieren, um zu erfahren, ob es funktioniert: „Ein Unternehmen zu leiten, ist keine Wissenschaft, sondern ein Handwerk“, da nütze eine Prüfung nichts, so der Insolvenzfachmann. Allerdings: „Es gibt viele, die diese Fertigkeiten nicht beherrschen.“ Sie vergessen auf die Steuern, sie haben keinen mittel- oder langfristigen Geschäftsplan, und wenn die Geschäftsidee nicht funktioniere, zum Beispiel weil die potenziellen Kunden nichts davon erfahren, gehe das rasch ins Geld.

Eigene Liquidität

Wer eine Firma gründe, dem müsse klar sein, dass es seine Zeit braucht, bis erstmals Geld verdient wird, da müsse man ein entsprechendes Polster haben. Das kommt inzwischen aber nicht mehr von den Banken. „Die sind seit 20 Jahren überliquide, das hat vor allem in den Jahren bis 2008 viel Unsinn generiert.“ Nun werde strenger kontrolliert, was eigentlich nur gesund sei, denn damit werde vieles nicht mehr finanziert, was nicht wirklich Aussicht auf Erfolg habe. „Es ist gut, wenn die Unternehmer Eigenkapital haben und nicht alles auf einem Kredit aufgebaut ist.“ Eigene Liquidität sei eine Chance für Unternehmen, ist sich der Insolvenzexperte sicher, der vor seinem Eintritt beim KSV im Kommerzkreditgeschäft einer österreichischen Großbank tätig war.

Private Geldgeber

Geld für gute Unternehmens­ideen mit einem soliden Geschäftsplan gibt es trotzdem, so Kantner. Aufgrund der derzeit unattraktiven Bankenkonditionen suchen Anleger nach Möglichkeiten, ihr Geld gewinnbringend zu investieren. „Viele sind bereit, das in Firmen und Geschäfts­ideen zu stecken, wenn man sie mit einem gescheiten Geschäftsplan überzeugt.“ Für viele Kapitalgeber sei das eine echte Alternative zu Anleihen und Aktien. Die Start-up-Szene lebt davon, dass sie mit guten Ideen Geld von privaten Investoren einsammelt. Kantner gibt zu den derzeit günstigen Kreditbedingungen zu bedenken, dass sie zum Boomerang werden könnten, „denn der Tag, an dem die Zinsen wieder normales Niveau erreichen, wird irgendwann kommen. Dann gibt es eine Insolvenzwelle.“

Zurückgegangen sind in den vergangenen zwei Jahren die Privatkonkurse, so Kantner, doch er rechne damit, dass mit einer Verbesserung der Konjunktur auch hier die Zahlen wieder steigen: „Weil sich viele in guten Zeiten etwas leisten wollen und sich zutrauen, das auch einfacher bezahlen zu können.“

Je mehr gegründet wird, desto höher ist der Fallout. Das ist aber nichts, was einen beunruhigen darf.

Hans-Georg Kantner