Architekten “können nicht länger zu Seestadt schweigen”

Markt / 14.11.2016 • 22:26 Uhr
„Ein introvertiertes Shoppingcenter ohne öffentlichen Raum“, kritisiert Architekten-Initiative.  Bild: Prisma
„Ein introvertiertes Shoppingcenter ohne öffentlichen Raum“, kritisiert Architekten-Initiative.  Bild: Prisma

Fünf vor zwölf: Vorarlberger Architekten und Künstler fordern Stopp der Planung.

Bregenz. In Bregenz vermuten zahlreiche Bürger schon seit Längerem, dass das Jahrhundertprojekt Seestadt gar nicht realisiert wird. Kein Wunder, zieht sich die Diskussion und Planung doch bereits seit 2008 hin. Halbjährlich wird der Baubeginn verschoben. Nach aktuellem Stand soll im Frühjahr 2017 mit dem Bau gestartet werden. Nun sorgt die „Unabhängige Initiative von Architekten und Kulturschaffenden“ zum Thema „Seestadt Bregenz“ dafür, dass die Gerüchte neue Nahrung finden.

„Neustart des Projekts“

Denn nach einer Präsentation des Projekts vergangene Woche im Bregenzer Magazin 4 vor rund 75 Architekten fordert das Komitee, in dem neben Georg Bechter, Martin Mackowitz und Markus Thurnher mit Andreas Cukrowicz auch ein Architekt sitzt, der beim Gestaltungswettbewerb für die Seestadt teilgenommen hat, einen Neustart des Projekts, wie in den VN bereits am Samstag erwähnt wurde. Sie haben durchaus schlagende Argumente für ihren Aufruf: Sie fürchten, dass das Gebäude mit seiner 230 Meter langen Rückseite die Stadt vollends vom See abtrennt. „Es fehlen“, so die Architekten, „Blickachsen und Bezüge zur Seelandschaft“, ebenso „die Ausbildung von attraktivem öffentlichem Raum“. Die geplante Bebauung ignoriere das Potenzial der Nähe zum Bahnhof. „All dies wird für eine Geschäftsidee geopfert, welche vor 9 Uhr morgens und nach 18 Uhr gähnende energielose Leere versprüht.“ Das Urteil fällt vernichtend aus: „So entsteht Banalität statt Qualität, Beliebigkeit statt Relevanz, Rückschritt statt Aufbruch, Auswechselbarkeit statt Prägnanz, energielose Leere anstelle von lebendigem Quartier.“ Man habe einfach nicht länger schweigen können, so Georg Bechter gegenüber den VN. Denn was jetzt gebaut werde, werde die Stadt über Jahrzehnte prägen. Außerdem gibt er zu bedenken, dass „Shopping Malls ihre beste Zeit gehabt haben“, während qualitativer Stadtraum von den Bürgern wieder gefordert wird. „Das hat mit Lebensqualität zu tun“, so Bechter, der das in der Seestadt-Planung nicht erkennen will.

Die Kritik lässt sich der Bregenzer Bürgermeister Markus Linhart so nicht gefallen. „Ich bin dafür, dass jeder, der das will, seine Meinung sagt, aber ich wundere mich, wieso sich die Architekten nicht bereits früher in die Diskussion eingebracht haben.“ Es habe in der Stadt Bregenz noch nie eine so öffentlich geführte Meinungsbildung gegeben, bei der jeder die Möglichkeit hatte, sich zu äußern und seine Kritik und Vorschläge kundzutun. „Es wurden zahlreiche Bürgerversammlungen durchgeführt, der Gestaltungsbeirat war in jeden Schritt der Planung einbezogen, alles wurde öffentlich gemacht.“

Kein Anlass zum Stopp

Es seien anerkannte Architekten und Stadtplaner, die in das Projekt involviert sind, stellt das Stadtoberhaupt fest. Er beziehungsweise die Stadt sehen keinen Anlass, nun an den Start zurückzukehren. „Die Bauverfahren sind im Endspurt und sie werden weiter betrieben. Danach kann mit dem Bau begonnen werden“, entgegnet er den Architekten. Ob und wie mit der Kritik aus Architektenmund umgegangen werde, sei nun die Entscheidung der Bauherrschaft, der Prises Quartierentwicklung GmbH. Auch der Sprecher der Bauherrschaft, Bernhard Ölz, kritisiert den Zeitpunkt der Kritik. „Alle Themen wurden ausgiebig diskutiert, auch die Proponenten der Initiative hätten die Möglichkeit gehabt, ihre Meinung einzubringen“, sagt er. Ein Baustopp komme nicht infrage – man habe Jahre und
4 Millionen Euro in die Planung investiert. Alles sei transparent und korrekt abgelaufen, so Ölz.

Seestadt Bregenz

» Kosten: rund 100 Millionen Euro, mit Grundstück 120 Millionen Euro

» 14.000 m² Handels-, Dienstleistungs- und Gastronomieflächen

» 1500 m² Büroflächen

» 4000 m² mit 62 Mietwohnungen

» 1500 m² „Marktplatz“

» 570 Tiefgaragenplätze

» Umsetzung: PRISES Quartierentwicklung GmbH (50 % PRISMA Holding AG, 50 % SES GmbH)