“Wir sind heute viel mehr Logistiker als Händler”

Markt / 02.12.2016 • 18:31 Uhr
Markus Lutz (l.) und Stefan Girardi haben sich damals bei Antritt nicht gekannt. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Die Kompetenzen sind aufgeteilt, Strategien werden gemeinsam erarbeitet. Fotos: VN/Paulitsch
Markus Lutz (l.) und Stefan Girardi haben sich damals bei Antritt nicht gekannt. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Die Kompetenzen sind aufgeteilt, Strategien werden gemeinsam erarbeitet. Fotos: VN/Paulitsch

Dornbirn. Markus Lutz und Stefan Girardi sind die beiden Geschäftsführer des EHG Stahlzentrums in Dornbirn. Im Interview sprechen sie über schwierige Zeiten der Stahlbranche und wieso sie sich vielmehr als Logistikunternehmen sehen.

Stahl und Metall gehören zu den wichtigsten Werkstoffen in der produzierenden Wirtschaft. Dennoch hat die Branche bewegte Zeiten hinter sich, Stichwort Überkapazitäten. Sorgen die nun langsam anziehenden Preise für Hoffnung?

Girardi: Es gibt am Weltmarkt erhebliche Überkapazitäten. China überschwemmt Südostasien, Südamerika und Europa mit Stahl. In Europa gibt es jetzt erstmals Strafzölle auf Flachprodukte. Seither ist es etwas gestoppt, aber das gilt nicht für alle Stahlprodukte. Wichtig ist, dass die Stahlproduktion in Europa verbleibt. Wenn man diese Technologie komplett abgäbe, wäre das ein Wahnsinn.

Inwieweit können Sie als EHG Preisrückgänge abfedern?

Lutz: Wir sind ein Vollsortimenter, ein Generalist im Stahlhandel, während viele Mitbewerber nur in einzelnen Segmenten zu Hause sind. Wir haben entsprechende Lagerkapazitäten. Das heißt, auch wenn die Nachfrage flacher wird, haben wir ein breites Sortiment und eine große Verfügbarkeit. Zudem sind wir sehr effizient in unseren Prozessen und ganz schlank aufgestellt.

Girardi: Wir leiden als Händler grundsätzlich nicht so stark wie ein Stahlwerk, das produziert. Wir machen einen gewissen Rohertrag auf der Tonne, und wenn der Tonnenpreis tief ist, schauen wir trotzdem, dass der Rohaufschlag absolut gesehen gleich groß ist. Wir haben den Negativeffekt bei fallenden Marktpreisen aus der permanenten Lagerabwertung.

Wo kann man die EHG in der Branche einordnen? Welche Mengen werden bewegt?

Lutz: Wir haben 35.000 Tonnen auf Lager. Für mittelständische Stahlhändler ist das sehr groß. Hier zählen wir in Mitteleuropa sicher zu den größten. Natürlich gibt es aber weltweit sehr viel größere Händler mit Hunderten Standorten, mit denen wir uns nicht messen können.

Girardi: Die ganz Großen sind an ihren Standorten aber oft nur auf ein Thema spezialisiert. Einen Standort, wie wir ihn haben, mit diesem breiten Sortiment, gibt es selten. Das ist Teil unserer Strategie. So können wir große Industriebetriebe und Anlagenbauer aus einer Hand bedienen. Es gibt Kunden, die brauchen im Jahr 2000 verschiedene Artikel. Das bekommen sie von uns. Natürlich bedeutet das auch, dass es Teile gibt, die drei Jahre am Lager liegen.

Abgesehen vom Handel, verlangen die Kunden nach zusätzlichen Dienstleistungen?

Girardi: Jedes Stahlwerk produziert nur eine Spezialität in einer Standardlänge. Der Stahlhandel hat hier somit eine echte Funktion. Denn wir kaufen und portionieren das für unsere Kunden. Somit liefern wir eine Ware und eine Dienstleistung.

Lutz: Bei uns wird Stahl angearbeitet. Unsere Hauptmengen liegen in automatisierten Hochregallagern, die direkt angeschlossen sind an vollautomatisierte Sägecenter. So können wir bedarfsgerecht jede Qualität und jede Abmessung liefern, die der Kunde gerade braucht. Wir halten das Lager, schneiden den Werkstoff zu und liefern dorthin, wo der Kunde die Ware will. Wir bieten ihm also eine logistische Dienstleistung. Somit sind wir eigentlich kein Händler, sondern ein Logistikunternehmen. Und wir sind dadurch auch wichtiges Backup für andere. Den Schweizer Markt beliefern wir fast ausschließlich über lokale Händler, die nicht so ein großes Sortiment haben.

Sie haben kürzlich alle Anteile an der Arcotec Bewehrungstechnik verkauft. Suchen Sie im Gegenzug nach Beteiligungen?

Lutz: Der Hintergrund ist eigentlich, dass wir den Platz, den Arcotec einnimmt, brauchen, weil wir zu wenig Lagerkapazität für uns haben. Darum haben wir die Firma in Hände gegeben, die sich strategisch nur auf den Betonstahl ausgerichtet haben, was wir in den letzten Jahren nicht mehr waren. Auf der anderen Seite haben wir 2015 eine kleine Firma in Rumänien übernommen und in Deutschland einen Standort eröffnet. Wir können unser Wachstum im Stammmarkt kaum generieren, weil wir bereits einen hohen Marktanteil haben. Wollen wir wachsen, müssen wir uns nach neuen Projekten umsehen. Das tun wir regelmäßig. Vor einem Abschluss stehen wir derzeit aber nicht.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit in einer Doppelgeschäftsführung?

Girardi: Das macht durchaus Sinn. Es ist ein Austausch und gegenseitiges Benchmarking. Wir sind beide operativ stark involviert und haben eine sehr flache Hierarchie. Es ist unser Spirit, dass die Mitarbeiter sehr viel Kompetenz haben und eigenverantwortlich entscheiden.

Lutz: Wir haben eine Hochleistungstruppe, die ein hohes Maß an Eigenverantwortung mitbringt. Wir kennen alle Mitarbeiter persönlich und sind nah dran. Wir sind da sehr familiär unterwegs.

Bei uns hat jedes Produkt eine Geburtsurkunde und kann auch Jahre später nachverfolgt werden.

"Wir sind heute viel mehr Logistiker als Händler"
“Mit den Gesellschaftern pflegt man kurze Entscheidungswege. Es gibt auch kein Quartalsdenken”, betonen Lutz und Girardi.

Kennzahlen

» Gegründet: 1963

» Gesellschafter: Gebrüder Ulmer Holding GmbH (51,59 %), Josef Pircher Beteiligungs GmbH (48,41 %).

» Mitarbeiter: 230, davon 162 in Vorarlberg

» Auslieferung: 500 Tonnen pro Tag

» EHG-Gruppe: EHG Thommel in Baienfurt (D), SRH Stahl- und Rohr-Handel in Odelzhausen (D), Eisenhandel Knöpfler in Wangen (D), Aluson-Stahl AG in Altstätten (CH)

Zu den Personen

Dr. Markus Lutz

Geschäftsführer EHG Stahlzentrum GmbH & Co OG, Dornbirn

Geboren: 22. 2. 1959

Ausbildung/Laufbahn: Nach dem Jus-Studium Tätigkeiten in der Wirtschaftskammer Vorarlberg und bei Nägele Bau; ab 1999 bei Gebrüder Ulmer, nach dem Verkauf an Haberkorn 2011 Wechsel zur EHG

Mag. Stefan Girardi

Geschäftsführer EHG Stahlzentrum GmbH & Co OG, Dornbirn

Geboren: 23. 11. 1962

Ausbildung/Laufbahn: Nach dem Wirtschaftsstudium zunächst im Finanzbereich tätig, später bei Head in verschiedenen Funktionen sowie Vorstand der Huber Holding, seit 2012 bei der EHG