Vorarlberg als Benchmark für Europa

Markt / 22.03.2017 • 23:01 Uhr
Bundeskanzler Christian Kern will keine Ministerien oder Behörden in die Bundesländer übersiedeln: „Ich sehe darin keinen Sinn.“ Foto: VN/Steurer
Bundeskanzler Christian Kern will keine Ministerien oder Behörden in die Bundesländer übersiedeln: „Ich sehe darin keinen Sinn.“ Foto: VN/Steurer

Kanzler Kern lobt das Vorarlberger Unternehmertum und hofft auf die Modellregion.

Nenzing. Christian Kern hielt bei der Präsentation der VN Top 100 bei Liebherr in Nenzing eine leidenschaftliche Rede über Digitalisierung, Innovation und Zukunft. Die VN sprachen mit ihm über Deutschland, Doppelstaatsbürger und ungarische Drohungen.

Herr Bundeskanzler, wie schaffen wir es, konjunkturell auf deutsches Niveau zu kommen?

Kern: Die Indikatoren sehen sehr gut aus. Uns wurde ein Wachstum von 1,5 Prozent prognostiziert. Ich würde darauf wetten, dass es deutlich besser ausfallen wird.

Also erreichen wir deutsches Niveau?

Kern: In einigen Bereichen sind wir sogar besser. Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise haben wir eine höhere Industrieproduktion. Wir sind bei den Investitionen gemessen am BIP um drei Prozentpunkte besser. Wir haben in Relation im Vorjahr sogar mehr Jobs geschaffen. Deutschland hat einen Budgetüberschuss erwirtschaftet. Den haben sie sich aber mit stark zurückgefahrenen staatlichen Investitionen erkauft.

In Unternehmerkreisen wird Österreich nicht selten Wirtschaftsfeindlichkeit vorgeworfen. Wie sehen Sie das?

Kern: Ich denke, das ändert sich gerade. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem Unternehmen investieren und Menschen Arbeit geben. Darum haben wir den Beschäftigungsbonus beschlossen, wo wir zwei Milliarden Euro in die Hand nehmen. Diese Dimension ist vielen noch gar nicht bewusst.

In Bayern gibt es ein Modell, Ministerien in die Landeshauptstädte zu verlagern. Welches Ministerium würde zu Vorarlberg passen?

Kern: Eindeutig ein Innovationsministerium. Vorarlberg hat eine großartige Unternehmerstruktur, es ist das Bundesland, das am unternehmerischsten tickt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei unter fünf Prozent, definitiv eine Benchmark in Europa.

Das ehrt uns, zurück zur Frage: Könnte man Ministerien in die Bundesländer auslagern?

Kern: Ich sehe darin derzeit keinen Sinn. Das sind symbolische Schritte, aber unser Problem ist, dass die Bürokratie derzeit viel zu zerteilt ist. Ich weiß, Ihre Leser würden das gerne hören, aber im Sinne einer schlanken Verwaltung sollte man zunächst die Hausaufgaben machen.

Und wie sieht es im Bildungssystem aus? Was wäre mit einer Modellregion zur gemeinsamen Schule in Vorarlberg?

Kern: Hier wäre Pluralität sehr interessant, dann hätten wir eine Vergleichsbasis. Ich hoffe, dass wir uns rasch einigen. Bei den 15 Prozent käme in Vorarlberg vielleicht eine Handvoll Schulen infrage. Das reicht vermutlich nicht, um ernsthaft einen Fortschritt zu erreichen.

Sie befürworten eine Modellregion?

Kern: Ja, sehr. Ich orte auch in der ÖVP Kräfte, die das tun. Allerdings gibt es dort auch Kräfte, die vehement Widerstand leisten.

Ein Thema, das derzeit auch für Diskussionen sorgt, sind die Doppelstaatsbürgerschaften. Wie kann man die in den Griff bekommen?

Kern: Derzeit sind die Landesbehörden dafür zuständig, aber die tun sich schwer, wenn es keine Kooperationsbereitschaft seitens des Herkunftslandes gibt. Die Kooperationsbereitschaft der Türkei geht derzeit gegen null. Die österreichische Staatsbürgerschaft hat einen hohen Wert, die sammelt man nicht ein wie einen Gebrauchsgegenstand. Damit ist ein Bekenntnis zu unserem Land verbunden.

FPÖ-Chef Strache forderte im VN-Interview Planquadrate um Wahllokale.

Kern: Es braucht vernünftige Kontrollen. Aber es wäre ein Fehler, wenn wir uns grundsätzlich gegen die Türkei oder gegen die Türken positionieren. Ein noch größerer Fehler wäre es, wenn wir uns gegen Österreicher mit türkischen Wurzeln positionieren. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, wir sprechen hier von fast 300.000 Menschen. Wir müssen unterscheiden zwischen diesen Menschen und einem politischen Regime, das konsequent in Richtung Diktatur geht. Da muss die Wertegemeinschaft Europa ihre Werte durchsetzen, auch wenn es unangenehm ist.

Ungarn hat österreichischen Banken in Ungarn gedroht, sollte Österreich die Familienbeihilfe kürzen. Wie reagieren Sie darauf?

Kern: Man sollte das nicht überbewerten. Entweder ist die Kürzung Europarechtskonform, dann werden wir unsere ungarischen Nachbarn überzeugen. Oder sie ist es nicht, dann werden wir auf EU-Ebene eine Regelung herbeiführen müssen, da sitzen die Ungarn sowieso am Tisch. Meine Empfehlung: Bleiben wir ruhig, schauen wir uns das in Ruhe an.

Haben Sie das als Drohung wahrgenommen?

Kern: Ich habe mit Viktor Orban vor einer Woche ein sehr intensives Gespräch geführt. Ich habe ihm gesagt, dass es nicht akzeptabel ist und ihm klargemacht, wenn er so anfängt, bringt er einen Kreislauf in Bewegung, in dem auch wir uns etwas überlegen müssten. Das würde mit Schrammen auf beiden Seiten enden. Was nicht geht, ist, sich zu empören, und Solidarität nur dann einzufordern, wenn es einem selber nützt. Drohungen bringen uns aber nicht weiter, wir werden das vernünftig ausreden.

Bundeskanzler Christian Kern will keine Ministerien oder Behörden in die Bundesländer übersiedeln: „Ich sehe darin keinen Sinn.“ Foto: VN/Steurer
Bundeskanzler Christian Kern will keine Ministerien oder Behörden in die Bundesländer übersiedeln: „Ich sehe darin keinen Sinn.“ Foto: VN/Steurer