„Wie eine hochkomplexe Operation“

Markt / 12.05.2017 • 20:22 Uhr
Das Areal in Nenzing umfasst 250.000 Quadratmeter.
Das Areal in Nenzing umfasst 250.000 Quadratmeter.

nenzing. Markus Schmidle ist kaufmännischer Geschäftsführer bei Liebherr. Im Interview spricht er über die Umstellung der Produktpalette, die zunehmende Digitalisierung und welche große Rolle Messen spielen.

Liebherr Nenzing hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Statt Schiffs- und Hafenkränen werden heute nur noch Baumaschinen produziert. Was waren die ausschlaggebenden Gründe für diesen Schritt?

Schmidle: Was von außen nie so wahrgenommen wurde, war, dass das rasante Wachstum beim Umsatz in Richtung einer Milliarde Euro nur mit dem Standort in Rostock möglich war. Das war quasi unsere verlängerte Werkbank. Hier in Nenzing wäre dieses Wachstum nie möglich gewesen. In Rostock haben wir 450.000 Quadratmeter Fläche, das sind um 200.000 Quadratmeter mehr als in Nenzing. Fertigungstechnisch hätten wir die Milliarde also in Nenzing nie stemmen können. Dass die Trennung richtig war, sieht man auch daran, dass wir den Umsatz bei den Baumaschinen in den letzten zwei Jahren um 50 Prozent auf 466 Millionen Euro steigern konnten. Die Liebherr-MCCtec, die als Spartenobergesellschaft alle Aktivitäten im Bereich maritime Krane koordiniert, ist aber weiterhin in Nenzing angesiedelt.

Was sind die größten Herausforderungen bei einer solchen Umstellung?

Schmidle: Im Grunde war es eine komplette Neuausrichtung. Mit einer Metapher gesagt: Man muss sich das wie eine Trennung von siamesischen Zwillingen vorstellen, als hochkomplexe Operation. Das Schwierige war, den Baumaschinenbereich neu aufzustellen und gleichzeitig so zu pushen, dass der Standort in Nenzing von diesem Produktportfolio ausgelastet werden kann. Das ist keine Selbstverständlichkeit unter dem Aspekt, dass zwei Drittel des Umsatzes verlagert wurden. Früher hatten wir einen Seilbagger. Heute haben wir drei gleichwertige Produktlinien. Und natürlich war es eine Herausforderung, das Know-how zu verlagern. So eine Flexibilität der Mitarbeiter ist nicht selbstverständlich.

War diese Fokussierung rückblickend die richtige Entscheidung für Liebherr Nenzing?

Schmidle: In Summe haben wir durch die zielgerichtete Fokussierung eine Win-win-Situation erreicht und sind stolz, dass wir in den letzten zwei Jahren im Baumaschinenbereich massiv gewachsen sind. Das ist auch die Liebherr-Mentalität, dass man, wenn man an eine Wachstumsgrenze stößt, überlegt, ob die Organisation oder der Standort nicht zu groß ist.

Liebherr exportiert zu 99 Prozent. Wie geografisch günstig liegt da ein Standort wie Nenzing?

Schmidle: Die Standortentscheidung damals war nicht die optimale Lage für Schiffskräne. Vielmehr waren es der Ausbildungsgrad, die Mentalität und Motivation der Mitarbeiter, die dafür sprachen. Da muss ich unseren Firmengründer zitieren, der gesagt hat: Mitarbeiter in Vorarlberg schaffen das Gleiche in der halben Zeit wie andere. Wobei, wenn man sieht, dass einer unserer wichtigen Märkte Europa ist, ist Vorarlberg im Dreiländer­eck ein optimaler Standort. Die USA sind ebenfalls ein wichtiger Markt, aber das ist für uns ein klassischer Export- und Liefermarkt. Wir haben das Know-how hier am Standort und können hier wettbewerbsfähig sein. Im Schiffs- und Offshorebereich wiederum, wo die Kunden die weltweiten Hafenmetropolen sind, ist es nachvollziehbar, dass man nicht einen Standort im Vorarlberger Unterland sucht.

Auf der Großmesse Bauma konnte Liebherr Abschlüsse in der Größenordnung von 50 Millionen Euro erzielen. Sind also Messen nach wie vor umsatzmitentscheidend?

Schmidle: Auf der Bauma trifft sich das „Who is who“ der Baumaschinenbranche, da darf Liebherr nicht fehlen. Wir stellen uns dort auch dem Wettbewerb und es ist ein Gradmesser auf dem Markt. Da zeigt man, was man kann, und es kommt durchaus auch zu Spontankäufen. Gerade technische Neuerungen kann man dort in einer Breite vorstellen und bekommt ein direktes Kundenfeedback. Somit ist so eine Leitmesse ein Standortbestimmer.

Neben Baumaschinen sind auch immer mehr Dienstleistungen gefragt. Was bedeutet das für Liebherr und wie viel Digitalisierung steckt heute in den Produkten?

Schmidle: Die ersten Schritte haben wir mit unserem Telematik-System vor zehn Jahren gesetzt, das in der Baumaschine verbaut ist und Daten aufzeichnet. Digitalisierung ist ein wesentliches Thema in der Zukunft. Es geht darum, über Prozessoptimierung Kundennutzen zu stiften. Daher ist unser nächster Schritt, die generierten Daten so zu nutzen, dass die Prozesseffizienz gesteigert wird. Einer der Mosaiksteine ist unser „Liebherr Positioning System“, mit dem auf der Baustelle zielgerichtet das Bohren gesteuert wird. Oder unser Simulationsprogramm, mit dem der Kunde einen Hub planen kann. Somit weiß er, speziell bei schwierigen Anwendungsfällen, welches das optimale Gerät und die optimale Konfiguration ist. In der nahen Zukunft sollen die Baumaschinen auf der Baustelle miteinander kommunizieren.

Wie viel Digitalisierung passiert innerhalb der Liebherr-Fertigung selbst, Stichwort digitale Fabrik?

Schmidle: Wir sind im hochqualifizierten Maschinenbau tätig und haben fertigungstechnisch ein breites Portfolio. Wir haben 28 Typen und bauen rund 300 Baumaschinen im Jahr. Das heißt, wir sind immer abhängig von der Ingenieurskunst und dem großen Know-how unserer Mitarbeiter. Deshalb hat die Digitalisierung bei uns in der Fertigung noch nicht so Einzug gehalten. Sie wird künftig auch mehr in der Unterstützung des Mitarbeiters passieren, sodass er beispielsweise am Arbeitsplatz die Daten visualisiert auf eine 3D-Brille zur Verfügung gestellt bekommt.

Die Umstellung unserer Produktpalette war wie eine Trennung von siamesischen Zwillingen.

Markus Schmidle ist stolz darauf, dass Liebherr Nenzing mit seinen Mitarbeitern die Umstellung der Produktpalette so gut gemeistert hat. Der Baumaschinenbereich wächst heute rasant. Fotos: VN/Hofmeister
Markus Schmidle ist stolz darauf, dass Liebherr Nenzing mit seinen Mitarbeitern die Umstellung der Produktpalette so gut gemeistert hat. Der Baumaschinenbereich wächst heute rasant. Fotos: VN/Hofmeister

Kennzahlen

Liebherr-Werk Nenzing GmbH

» Geschäftsführung: Manfred Brandl, Gerhard Frainer, Markus Schmidle, Holger Streitz

» Umsatz 2016 (Nenzing, Rostock, Sunderland): 833,1 Millionen Euro 

» Umsatz 2016 Baumaschinen Nenzing: 466,6 Millionen Euro (+13,5 %)

» Beschäftigte in Vorarlberg: 1740 (230 Ingenieure), an anderen Standorten: 564, Lehrlinge: 134

Zur Person

Mag. Markus Schmidle

Geboren: 6. April 1972 in Bludenz

Ausbildung: Handelsakademie Feldkirch, Studium Betriebswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck

Laufbahn: 1997 Liebherr Nenzing (Strategischer Einkauf), 2001 Geschäftsführer der Liebherr-Elektronik GmbH in Lindau, seit 1. Jänner 2016 kaufmännischer Geschäftsführer Liebherr Nenzing GmbH und Liebherr MCCtec GmbH

Familie: verheiratet, zwei Söhne