Hannes Androsch

Kommentar

Hannes Androsch

75 Jahre nach Bretton Woods

Markt / 28.07.2019 • 10:59 Uhr

2019 ist ein Jahr der Erinnerungen: 100 Jahre Friedensverträge von Versailles und St. Germain, ebenso 100 Jahre Einsteins Relativitätstheorie, 80 Jahre Beginn des Zweite Weltkriegs, 70 Jahre Volksrepublik China und Beweis der Relativitätstheorie durch Kurt Gödel, 50 Jahre Mondlandung und 30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs.
In diesem Gedenkreigen droht ein wichtiges Datum in Vergessenheit zu geraten: die Konferenz von Bretton Woods vom Juli 1944. Damals – der Zweite Weltkrieg war in vollem Gange und die verlustreichsten Monate des Krieges standen noch bevor – wurden die Regeln für eine stabile Wirtschafts- und Währungsordnung formuliert. 44 Nationen schufen für die Nachkriegszeit ein Regel- und Institutionenwerk, welches wirtschaftliches Wachstum und steigenden Wohlstand ermöglichte.

„Wir brauchen internationale Regeln sowohl für den Handel als auch den Kapitalverkehr.“

Der damalige US-Finanzminister Morgenthau meinte dazu: „Wir sind zur Erkenntnis gelangt, dass der klügste und wirksamste Weg, unsere nationalen Interessen zu schützen, in der internationalen Zusammenarbeit besteht.“ Diese Überzeugung, wonach sich Währungs- und Handelsfragen nicht – wie in der Zwischenkriegszeit praktiziert – durch Protektionismus, sondern besser durch internationale Zusammenarbeit lösen lassen, prägte die folgenden 75 Jahre ebenso wie die dafür in Bretton Woods geschaffenen Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds. US-Präsident Roosevelt brachte es auf den Punkt: „Handel ist das Herzblut einer freien Gesellschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Arterien, durch die das Blut fließt, nicht wieder verstopft werden wie in der Vergangenheit.“
Welch ein Unterschied zu den Tönen, die nun aus Washington auf uns nieder“twittern“, wenn Präsident Trump erklärt: „Wir müssen unsere Grenzen vor den Angriffen jener Länder schützen, die unsere Waren produzieren, unsere Firmen stehlen und unsere Jobs vernichten.“ Trump läutete jene nationalistisch-protektionistische Wende ein, in der die USA den Dollar zunehmend als Waffe verwenden und die nun zu globalen Handelskriegen zu führen droht.

Umso notwendiger ist es, den Geist von Bretton Woods neu zu beleben. Wir brauchen internationale Regeln sowohl für den Handel als auch den Kapitalverkehr, denn Geld verhält sich zum Handel wie das Pferd zur Kutsche. Dies gilt auch für die neuen Formen digitaler Zahlungsmittel.

Derzeit jedoch ist die europäische Abhängigkeit im Zahlungsverkehr über SWIFT eine ebenso erpresserische Waffe wie jene vom GPS oder den amerikanischen Cloud-Servern. Um sich den desolaten Auswirkungen der Politik von Trump entgegenstellen zu können, muss die EU ein Mindestmaß an Selbständigkeit sowohl gegenüber den USA als auch gegenüber China entwickeln und gleichzeitig auf weltweit gültige Regeln drängen.

Dr. Hannes Androsch ist Finanz­minister i. R. und Unternehmer.