Anker im Ungewissen

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Noemi Schmit-Stutz: „Man muss sich schon in die Fluten wagen, um zu erkennen, dass sie uns tragen.“
Noemi Schmit-Stutz: „Man muss sich schon in die Fluten wagen, um zu erkennen, dass sie uns tragen.“Thomas Matt

Vertrauen lernen: von verletzten Biografien, treuen Weggefährten und Glaubenskraft

Bregenz Dieser Advent fällt in schwierige Zeiten. Die Menschen brauchen einen Anker. In der Erfahrung von Noemi Schmit-Stutz ist das oft die Kernfamilie. Aber die Landespfarrerin der reformierten Kirche in Österreich weiß auch: Nicht alle haben das Glück solcher Geborgenheit. Digitale Beziehungen bilden keinen tauglichen Ersatz.

Vertrauen erlernen

Was aber tun, wenn man nie mit Urvertrauen beschenkt wurde? Lässt sich das lernen? Lange sagte die Forschung: Nein. „Heute scheinen wir da zuversichtlicher zu sein.“ Einfach ist es nicht. Vertrauen wächst aus Erfahrung. Menschen, die als Kinder keine verlässlichen Bindungen kannten, müssen als Erwachsene dem verletzten inneren Kind Aufmerksamkeit schenken. Nur so lernen sie, für sich selbst zu sorgen. Tun sie es nicht, fällt es ihnen schwer, selbst stabile Beziehungen einzugehen.

Nicht nur Kinder leiden unter enttäuschten Beziehungen. „Auch bei Erwachsenen löst ein Vertrauensbruch in der Regel eine Krise aus“, sagt Schmit-Stutz, „zumal, wenn die Beziehung tief und innig war und man völlig davon überrumpelt worden ist. Oft braucht es mehrere Jahre, um über so eine Enttäuschung hinwegzukommen und sie so in der eigenen Biographie zu integrieren, dass da wohl noch die Narbe vorhanden, der Schmerz jedoch überwunden ist.“

Gute Gefährten

Wer den Advent bzw. das ganze Leben als einen Weg begreift, tut gut daran, geeignete Weggefährten zu suchen. Die finden sich nicht an der Oberfläche. „Das Leben ist keine TV-Soap“, betont Schmit-Stutz. „Aber dort, wo Menschen sich aufrichtig begegnen und ihr Wort halten, können sie gute Begleiter werden.“ Gute Begleiter halten ihr Wort. Sie benennen Grenzen, bleiben freundlich, wissen um eigene Fehler. Sie verzeihen, wenn etwas schiefgeht. Und sie haben Humor.

Dorhin sind wir unterwegs im Advent: Das Weihnachtsgeschehen, wie es die Krippe in der Klosterkirche der Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau darstellt.
Dorhin sind wir unterwegs im Advent: Das Weihnachtsgeschehen, wie es die Krippe in der Klosterkirche der Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau darstellt.

Was gibt ihr selbst Halt im Ungewissen? Noemi Schmit-Stutz, die in Basel und Zürich Theologie studiert hat, empfindet sich als „sehr neugierigen Menschen“, der Überraschungen zu schätzen weiß. Auch Bibel, Meditation und Gebet und die kirchliche Gemeinschaft stützen sie sehr. „Gerade die Bilder der Psalmen, wenn da z. B. davon gesprochen wird, dass wir uns im Schatten von Gottes Flügel bergen können oder dass Gott für uns sorgt wie ein Hirt für seine Schafe, eine Mutter für ihre Kinder, dann sind das für mich Bilder mit einer großen Kraft.“

Viele Menschen tun sich schwer damit, Vertrauen in einen Gott zu setzen, den sie nicht sehen, an den sie nur glauben können. Das kann Noemi Schmit-Stutz gut verstehen, „einen unangefochtenen Glauben gibt es nicht. Aber“, fügt sie augenzwinkernd hinzu, „man muss sich schon in die Fluten wagen, um zu erkennen, dass sie uns tragen.“

Glaube im Zweifel

Den Menschen des 21. Jahrhunderts wird zunehmend seine Selbstwirksamkeit aus den Händen genommen. „Das erschüttert unser Selbstvertrauen in den Tiefen seines Seins.“ Daneben müssen wir Schmit-Stutz zufolge „erfahren, dass wir manipuliert werden und es viele Verantwortliche in Politik und Wirtschaft, Medien und anderen Orten des täglichen Lebens mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.“ Instabile Beziehungen und Arbeitsverhältnisse strapazieren unsere Vertrauensfähigkeit sehr.

Wem können wir noch vertrauen? Schmit-Stutz appelliert an unsere ureigensten Fähigkeiten: „Studieren wir die Bibel selbst. Das Studium großer Theologen kann uns dabei helfen, zu einem sichereren Urteil zu gelangen. Wagen wir den Austausch mit ganz unterschiedlichen Menschen. Nur so können wir unseren Beobachtungen trauen und wagen, eigene Rückschlüsse zu ziehen.“