Leben nach der Pandemie
Als der Mensch im Zuge der neolithischen Revolution vor rund 10.000 Jahren sesshaft wurde, begann er nicht nur, sich die Erde untertan zu machen, sondern schuf damit auch ideale Bedingungen für Bakterien und Viren und sich damit einen neuen Gegner: Infektionskrankheiten. Diese sind – ebenso wie Kriege – die dunkle Seite der Zivilisation und haben mindestens genauso viele Opfer gefordert. Und dennoch lebten wir lange in der Illusion einer seuchenfreien Welt. Vergessen war die Spanische Grippe, die nach dem Ersten Weltkrieg mehr Tote forderte als der Krieg selbst, ignoriert wurden auch Epidemien wie Ebola oder das Zika-Virus, denn zu weit weg waren die betroffenen Gebiete, zu anonym die Opfer.
„Bekanntlich ist es leichter, ein neues Gebäude zu errichten, als ein altes zu renovieren.“
Umso mehr hat uns nun das Coronavirus überrascht, und selbst nach bald einem Jahr hält uns die Covid-19-Pandemie immer noch fest im Griff. Sie hat neben den gesundheitlichen Bedrohungen mehrfache Krisen ausgelöst und Kollateralschäden verursacht, vor allem im Bildungsbereich und der Wirtschaft. Die Folgen werden lange und tiefe Bremsspuren und große Flurschäden sein, von denen weite Teile der Gesellschaft betroffen sein werden, aber auch das internationale Gefüge, die globale politische und wirtschaftliche Ordnung. Gleichzeitig machen sich bereits zunehmend eine Pandemiemüdigkeit und Erschöpfung breit, die nicht zuletzt durch die ständigen leeren Ankündigungen, hohlen Versprechungen und chaotischen Maßnahmen verursacht werden. Doch dessen ungeachtet werden wir die Coronakrise mit allen ihren Auswirkungen überwinden. Daher ist es jetzt schon wichtig, die Schäden so klein wie möglich zu halten, bereits eingetretene rasch zu beseitigen, vor allem aber die Welt und das Leben nach der Pandemiekrise zielgerichtet und wirkungsvoll zu gestalten. Die Situation ist dabei eine andere als jene von 1945. Damals galt es, nach all den Zerstörungen einen Wiederaufbau vorzunehmen. Die jetzige Krise hingegen hat außer im Gesundheitsbereich keine physischen Schäden verursacht, dafür aber weite Teile unseres Lebens reduziert oder zum Stillstand gebracht. Daher ist es notwendig, keinen Wiederaufbau, sondern eine Wiederbelebung in Gang zu bringen. Angesichts der schon vor der Krise vorhandenen Probleme wie dem Klimawandel, der Notwendigkeit einer Energiewende, der Alterung unserer Gesellschaft und den Herausforderungen durch die Digitalisierung gilt es, einen tiefgreifenden Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft vorzunehmen. Bekanntlich ist es leichter, ein neues Gebäude zu errichten, als ein altes zu renovieren. Dennoch müssen wir uns rasch und wirkungsvoll diesen Aufgaben stellen – in Österreich, in der EU und global. Es gilt, gemeinsam die neue Normalität sinnvoll zu schaffen.
Dr. Hannes Androsch ist Finanzminister i. R. und Unternehmer.
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