“Nicht jeder muss ein Start-up sein”

Für Julia Grahammer (Junge Wirtschaft, Startupland) ist das eine Frage der Definition und keine Wertung.
Dornbirn Julia Grahammer ist als Geschäftsführerin der Jungen Wirtschaft und als Leiterin von Startupland Ansprechpartnerin für alle Start-ups und die jungen Unternehmer in Vorarlberg.
Über 1200 Neugründungen im Coronajahr: Haben Sie eine Erklärung dafür, wieso gerade in der Krise so viele Vorarlberger in die Selbstständigkeit starteten?
Julia Grahammer Für den Gründerboom gibt es verschiedene Gründe. Viele hatten Zeit, etwas auszuprobieren. Viele haben nun den Mut gefasst und die Chance gesehen. Ganz nach dem Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann? Das ist schön zu sehen, denn meine Rolle sehe ich auch darin, die Lust auf Selbstständigkeit zu fördern. Deshalb macht es auch Sinn, für die Junge Wirtschaft und für Startupland zuständig zu sein. Es gibt Gründer mit Start-up-Potenzial, aber nicht jeder muss ein Start-up sein.
Beispielsweise der Handwerker oder die Werbeagentur. Wird deren Rolle durch den Hype etwas unter den Scheffel gestellt?
Grahammer Das ist auf keinen Fall so. Natürlich ist das dem Modebegriff Start-up geschuldet. Aber es ist eine Definition und keine Wertung. Start-ups sind Unternehmen, die nicht nur eine innovative Idee verwirklichen wollen, sondern auch den Willen und das Potenzial haben, international stark zu wachsen. Das muss nicht jeder haben und das macht ein Unternehmen nicht besser oder schlechter. Beide sind wichtig für einen attraktiven Wirtschaftsstandort.
Die Dynamik an neuen, innovativen Start-up-Gründungen scheint eine neue Dimension erreicht zu haben. Täuscht der Eindruck?
Grahammer Vorarlberg ist ein innovativer Standort. Die kurzen Wege, das starke Netzwerk und die Lebensqualität spielen hier eine wichtige Rolle. Viele kommen nach der Ausbildung wieder zurück nach Vorarlberg oder sie gründen direkt nach der Schule am Standort. Entscheidend ist, man kann hier leben und ein Unternehmen gründen und mit ihm wachsen.
Was hat sich hier in der Wahrnehmung geändert?
Grahammer Vor drei Jahren haben wir mit Startupland Vorarlberg bei null gestartet. Da ging es zunächst darum, Zugänge und Anlaufstellen zu schaffen, Player zu vernetzen und das Thema generell sichtbar zu machen. Das braucht seine Zeit. Nun aber beobachten wir, dass die ganze Thematik an Dynamik und Fahrt aufnimmt. Es gibt so viele positive Beispiele in Vorarlberg. Das motiviert wiederum andere. Auch ist es nicht mehr unüblich, ein Start-up zu gründen. Es ist nun gesellschaftlich anerkannt.
Wie wichtig ist der physische Startupland-Standort hier in der Postgarage?
Grahammer Ein Treffpunkt ist nicht nur am Anfang wichtig, denn vieles geschieht auch unbewusst. Der Austausch passiert nicht, weil es geplant ist, sondern weil man sich hier trifft.
Die Junge Wirtschaft hat über 600 Mitglieder im Land. Was macht eine Coronakrise mit der jungen Unternehmergeneration?
Grahammer Viele der jungen Unternehmer haben sich sehr schnell an die Situation angepasst. Da hilft ihnen ihre Flexibilität und ihre Motivation, neue Wege zu gehen. Im Netzwerk der Jungen Wirtschaft ging es in dieser Zeit vor allem um den Austausch, um hier voneinander lernen zu können. Die generelle Stimmung ist derzeit schon wieder hoffnungsvoll. Es gibt die Hoffnung, endlich wieder durchstarten zu können.
Interessiert sich die heimische Politik ausreichend für die Start-up- und Gründerszene?
Grahammer Ja, aus Jungunternehmersicht und aus Start-up-Sicht. Die Politik hat gesehen, dass junge Unternehmer für einen attraktiven Wirtschaftsstandort sehr wichtig sind. Start-ups wiederum sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und werden als Innovationstreiber wahrgenommen.
Wie sieht die Finanzierungssituation aus? Kommt man als junger Unternehmer an Kapital?
Grahammer Das kann man nicht generell beantworten. Vieles hängt davon ab, was die Gründungsidee ist, in welchem Bereich man tätig ist, wo man steht und wohin man will. Das ist bei den vielen Förderungen so, die es gibt, und auch bei Venture Capital oder Business Angels. Nicht jeder muss oder will gleich zu Beginn einen Investor ins Boot holen.
Unter den Gründern im Land sind fast die Hälfte Frauen. Das ist eine höhere Quote als in Führungspositionen in Unternehmen. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Grahammer Das ist eine gute Frage. Aus Jungunternehmer-Sicht ist das natürlich super, dass sich so viele Frauen selbstständig machen und ihre eigenen Ideen umsetzen. Für die Unternehmen insgesamt ist es aber schade, dass es wenig weibliche Führungskräfte gibt. Ich hoffe, dass es durch Vorbilder gelingt, dass sich das mehr Frauen zutrauen und das Thema dadurch aufgebrochen wird.
Ihr Werdegang führte Sie ins Marketing und in die Hotelleitung. Was sind für Sie die wichtigsten Fähigkeiten, die Sie im beruflichen Alltag begleiten?
Grahammer Immer neugierig und offen zu sein. Ich habe Chancen, die sich mir geboten haben, oft angenommen, auch wenn anfangs nicht immer klar war, was mich genau erwartet. Es war oft ein Sprung ins kalte Wasser. Ich habe es aber auch nie bereut. Zudem habe ich durch die Hotellerie das Gastgeben gelernt. Das begleitet mich bis heute. Denn wir sind auch bei der Jungen Wirtschaft und bei Startupland Gastgeber und Netzwerker für Jungunternehmer und Start-ups.


Julia Grahammer vertritt und vernetzt in ihren beiden Funktionen junge Unternehmer und Start-ups in Vorarlberg.
Zur Person
Julia Grahammer
Geschäftsführerin Junge Wirtschaft Vorarlberg, Leiterin Startupland
Jahrgang 1992
Ausbildung Bachelor of Arts – International Business Studies (FH Kufstein; Montpellier); Master of Arts – International Marketing & Sales (FH Dornbirn)
Laufbahn Marketing Rauch Fruchtsäfte; internes Management/Rezeption Hotel Rickatschwende; Marketing Hanro International; Hotelleitung Bären Mellau; seit 2018 Leiterin Startupland Vorarlberg; seit 2020 Geschäftsführerin Junge Wirtschaft Vorarlberg;
Junge Wirtschaft Netzwerk für Unternehmer, Führungskräfte, Gründer, unternehmerisch denkende Menschen
Startupland Plattform für Start-ups, Anlaufstelle für Start-up-Themen