Wo sind die Arbeitskräfte geblieben?

Markt / 14.09.2022 • 18:03 Uhr

Offene Stellen, wenig Bewerber: Das führt zu angespannter Lage.

Schwarzach Noch nie gab es in Österreich so viele offene Stellen wie aktuell. Aber die Betriebe finden oft keine Mitarbeiter. Gab es vor ein paar Jahren noch das Problem, dass es kaum mehr Jobs für Hilfsarbeiter gab, werden heute nicht nur Fachkräfte, sondern genauso auch Mitarbeiter für weniger qualifizierte Aufgaben händeringend gesucht. Was ist da passiert?

Es dauert länger

Die Ökonomen von Agenda Austria, Denes Kucsera und Hanno Lorenz, haben Daten des Arbeitsmarktservice analysiert. So waren mit Ende August österreichweit mehr als 133.000 offene Stellen beim AMS gemeldet, in Vorarlberg 5709. „Dazu kommen noch 75.000 weitere offene Stellen, die nicht beim AMS registriert sind“, sagt Kucsera. Dass die Mitarbeitersuche schwieriger wird, zeigt sich auch daran, wie lange es dauert, bis eine offene Stelle besetzt werden kann. „Dauerte es zwischen 2008 und 2018 noch 20 bis 40 Tage, sind es heute 60 bis 80 Tage. Tendenz weiter steigend.“ Zudem betreffe jede zweite offene Stelle sogenannte Mangelberufe.

Aber wo sind die Arbeitskräfte geblieben? Dafür gebe es drei ausschlaggebende Gründe. „Einerseits die Demografie. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen nun in Pension. Somit sinkt der Anteil der Erwerbstätigen“, betont Kucsera. Bis zum Jahr 2050 werde die Zahl der Menschen über 65 Jahre um fast eine Million auf 2,66 Millionen steigen. Die Anzahl jener im erwerbsfähigem Alter (20 bis 65) werde indes um 300.000 Personen auf knapp 5,2 Millionen zurückgehen.

Mobilität fehlt

Der zweite Grund sei die fehlende Mobilität. „Während Köche und Kellner in Wien beispielsweise schwer einen Job finden, werden sie im Westen dringend gesucht.“ Oder anders formuliert: Etwa 15 Prozent der heimischen Arbeitslosen könnten sofort einen Job in einem Mangelberuf finden, wenn sie bereit wären, dafür in ein anderes Bundesland zu ziehen.

Drittens hätte Corona einiges verändert. „Mitarbeiter aus Osteuropa gingen während der Lockdowns zurück in ihre Heimatländer. Zudem hat die Pandemie den Teilzeitboom verstärkt. Die Zahl der Mitarbei­ter in Vollzeit ging im Vergleich zu 2019 um 38.000 zurück“, erklärt der Ökonom.

Aber was tun? Für Hanno Lorenz steht fest, dass es durchaus Potenziale gibt, die man besser heben könnte. Wer einen Vollzeitjob möchte, dürfe nicht von widrigen Rahmenbedingungen ausgebremst werden. „Die Politik muss sicherstellen, dass ganztägige Kinderbetreuung angeboten wird. Zudem darf das Steuersystem keine Anreize schaffen, weniger zu arbeiten. Im Gegenteil, Mehrarbeit muss belohnt werden. Deshalb sollten Spitzensteuersät­ze nur für Spitzeneinkommen gelten, aber nicht für mittlere Einkommen. Denn vor allem im Bereich unterer und mittlerer Einkom­men lohne es sich oft nicht, wieder einen Job anzuneh­men.“

Arbeitslosengeld reformieren

Dazu müsste das Arbeitslosengeld überarbeitet werden. „Die Ersatzrate müsste zu Be­ginn der Arbeitslosigkeit von derzeit 55 Prozent auf 65 Pro­zent des letzten Einkommens steigen. Nach 18 Wochen Ar­beitslosigkeit gäbe es noch 55 Prozent und nach 35 Wochen 45 Prozent. Die Sozialhilfe bliebe als letz­tes Auffangnetz erhalten“, so Lorenz. Zudem sollten die Sanktionen verschärft werden, wenn Arbeitslose angemessene Jobangebote wiederholt ablehnen. Und dann wäre da noch ein politisch unbeliebtes Thema: „Das Pensionsantrittsalter sollte ab sofort jedes Jahr zumindest um zwei Monate angehoben werden, bis ein Antrittsalter von 67 Jahren erreicht ist.“ VN-reh