“Zu viele feige Entscheider”

Markt / 21.01.2024 • 21:23 Uhr
WKÖ-Chef Mahrer im VN-Interview: Mir ist relativ egal, wie eine Regierungskonstellation aussieht, wer mit wem koaliert, solange es das Land weiterbringt. VN/RP
WKÖ-Chef Mahrer im VN-Interview: Mir ist relativ egal, wie eine Regierungskonstellation aussieht, wer mit wem koaliert, solange es das Land weiterbringt. VN/RP

WKÖ-Präsident Mahrer warnt im Wahljahr vor politischem Stillstand und Populismus.

Schwarzach Der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Harald Mahrer, gehört zum politischen Inventar der Republik. Seit 2018 Präsident der Unternehmerinteressenvertretung, hat der 50-Jährige auch als Staatssekretär und Wirtschaftsminister in der SPÖ-ÖVP-Koalition gewirkt. Als Wirtschaftskammer-Präsident und damit einer der wichtigsten Proponenten der Sozialpartnerschaft kämpft er heute für deren Bedeutung und den Unternehmerstandort Österreich, den er zunehmend in Gefahr sieht, wie er im Gespräch mit den VN betont.

 

Was muss geschehen, damit 2024 für die Wirtschaft ein gutes Jahr wird?

Mahrer Da muss sich einiges an den Rahmenbedingungen ändern. Ich glaube, seit den durchaus schwierigen Lohnverhandlungen im Herbst wissen wir alle, dass wir uns in die Zukunft blickend diese hohen Lohnstückkosten nicht leisten können. Gerade ein international exportorientiert erfolgreicher Standort wie Vorarlberg, ein Musterbundesland, muss da aufjaulen und sagen, wir werden zunehmend aus dem Markt gepreist. Die zweite zentrale Frage bleibt weiterhin die Frage der Energiekosten. Wir haben relativ hohe Energiekosten und die müssen halt auch runter. Und die dritte Rahmenbedingung ist die Frage, wie sieht es mit Zukunftsinvestitionen aus? Alle drei Faktoren sind wichtig. Bei allen drei Stellschrauben muss sich 2024 etwas tun.

 

Die Sachlichkeit wird in diesem Superwahljahr wahrscheinlich auch auf der Strecke bleiben . . .

Mahrer Ich bin kein Fan davon, dass wir 2024 ein Jahr durch Dauerwahlkampf verlieren. Die österreichischen Betriebe und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Bevölkerung, brauchen Regierungen, die agieren. Es ist meine große Sorge, dass wir 2024 ein Ultrapopulismusjahr haben werden und damit ein ganzes Jahr für Österreich verlieren. Überlegen Sie sich: Wir wählen vielleicht Ende September ganz normal, dann kommen Regierungsverhandlungen, dann muss man Programme ausarbeiten. Erst dann kommen, also Mitte 2025, die großen Entscheidungen für Österreich. Das würde heißen, wir verlieren mehr als ein Jahr. Das wäre für mich der absolute Wahnsinn. Das ist gerade in der jetzigen schwierigen Situation für Österreich ganz, ganz schlecht, wenn wir eineinhalb Jahre Lähmung haben.

 

Sie sorgen sich um die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs – wie wichtig ist eine Lohnnebenkostensenkung, um konkurrenzfähig zu bleiben?

Mahrer Das wäre unsere große Forderung jetzt. Wir haben uns das im Detail angesehen. Ich will mich da jetzt noch nicht öffentlich auf einen bestimmten Weg festlegen, weil das muss man ausverhandeln. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die Lohnnebenkosten zu senken, ohne dass es Einschränkungen irgendeiner Sozialleistung gibt. Ich bin kein Fan von einer Lohnnebenkostensenkung durch gleichzeitigen Sozialabbau. Da würde ich mich persönlich dagegen wehren. Die Arbeitgeber tragen ja auch ihren Teil zu den Sozialleistungen bei. Aber es gibt eine ganze Reihe von Lohnnebenkostenbestandteilen, die nichts zu tun haben mit originären Versicherungsleistungen. Jetzt muss man sich die Frage stellen, ob das noch zeitgemäß ist, wenn wir uns dadurch Marktchancen nehmen.

 

Und – ist es noch zeitgemäß?

Mahrer Am Ende des Tages kann uns das Abertausende Jobs kosten. Das muss man offen ansprechen. Das ist eine unangenehme Botschaft. Aber ich sage, es ist die Zeit für unangenehme Wahrheiten und nicht angenehme Unwahrheiten. Wir haben in der Politik ohnehin zu viele Beckenrandschwimmer und in Wirklichkeit feige Entscheider, die den Leuten immer zu erklären versuchen, dass alles eitel Wonne ist, weil sie den Wahltag fürchten. Also ich glaube, 2024 ist ein Jahr, in dem man sich wirklich anschauen muss, was ist Sache, was muss man daher für Entscheidungen treffen? Ich bin da auch sehr agnostisch und mir ist das relativ egal, wie eine Regierungskonstellation aussieht, wer mit wem koaliert, solange es das Land weiterbringt und die heißen Zukunftsthemen angegangen werden. Ich kann mir das bei den großartigen Umverteilern, deren einzige Strategie die Robin-Hood-Strategie ist, nicht vorstellen, dass die irgendwas weiterbringen. Die wollen ja immer nur denen was wegnehmen, die etwas leisten und den anderen etwas geben, die die Hand aufhalten. Auch Abschottungsstrategien kann ich nichts abgewinnen. Wir verdienen 60 Prozent der Wertschöpfung im Export, Österreich ist keine Festung. Deshalb wird man das Land nicht einmauern können. Die Debatten werden wir hart führen müssen. VN-sca

„Österreich ist keine Festung. Deshalb wird man das Land nicht einmauern können.“