“Es ist nicht der Wirt, der sich die Taschen füllt”

Markt / 09.07.2024 • 16:12 Uhr
ABD0149_20210723 – ALTENAU – DEUTSCHLAND: ARCHIV – 17.10.2020, Bayern, Altenau: Eine Bedienung zapft Bier in einem Wirtshaus. (zu dpa: ÇBars und Kneipen in Bayern dŸrfen auch innen šffnenÈ) Foto: Angelika Warmuth/dpa +++ dpa-Bildfunk +++. – FOTO: APA/dpa/Angelika Warmuth
Fünf Euro für ein großes Bier ist inzwischen in vielen Lokalen Normalität. Die Preissteigerung landet aber nicht im Geldbeutel des Wirts, wie eine Analyse zeigt. APA

Preise in der Gastronomie sind stark gestiegen – und dennoch bleibt die Wertschöpfung im Minus.

Schwarzach, Wien Es ist wie verhext, egal wie scharf Wirtinnen und Wirte kalkulieren – es geht sich nicht aus. „Die Gastronomie und die Hotellerie in Österreich hat sich von Corona noch immer nicht erholt“, stellt dazu Jan Kluge, Ökonom bei Agenda Austria im Gespräch mit den VN fest. Daran ändert auch nichts, dass die Gastronomie und die Beherbergungsbetriebe während der Pandemie hoch gefördert wurden, wie die Bilanz der Cofag zeigt. Und auch nicht, dass die Nächtigungszahlen in den Tourismusregionen wieder auf Vorkrisenniveau gestiegen sind. Denn erstens geben die Urlauber inzwischen weniger Geld aus und zweitens sind die Kosten seither explodiert.

Agenda Austria Wifo Jan Kluge und Franz Sinabell
Agenda Austria-Ökonom Jan Kluge hat sich die Kosten- und Preisstruktur in Gast- und Beherbergungsgewerbe angesehen.: “Das ist langfristig bedenklich.” FA

Das ist auf gleich mehrere ungünstige Entwicklungen zurückzuführen. Der Ökonom bestätigt nur, was aus der Wirtschaft insgesamt bekannt ist: „Das sind die Energiekosten, die Inflation und die Arbeitskräftesituation“, so Kluge. Der Unterschied sei aber, dass die Gastgeber-Branche durch die Preisexplosionen besonders gebeutelt seien. Inklusive der Lohnsteigerungen im vergangenen Jahr sind die Personalkosten (heuer gibt es eine zweigeteilte Lohnsteigerung, im Mai sechs Prozent mehr, im November nochmals zwei Prozent) um 19 Prozent gestiegen. Und das sind nur die KV-Löhne. „Wenn ich heute eine gute Servicekraft finde, muss ich über Kollektivvertrag bezahlen“, berichtet ein Dornbirner Gastwirt, der ebenso wie ein weiterer Gastronom, der mit den VN sprach, nicht genannt werden will. Er wolle keinen Shitstorm erleben, so der Unternehmer, der auf den Salzburger Kollegen Sepp Schellhorn verweist, der „mit seiner richtigen Rechnung, was heutzutage ein Schnitzel kosten müsste“ medial wie auf sozialen Medien angegriffen wurde. Der Salzburger Wirt und NEOS-Politiker sagte, dass er bei einem Kalbswiener um 28 Euro gerade noch einen Euro verdiene.

Bruttowertschöpfung Gastgewerbe_0724

Den Unmut über die Personal- wie die Preissituation der Gäste schlägt auch auf die Atmosphäre: Die Gastronomie in der Wirtschaftskammer Vorarlberg startete deshalb vor Kurzem eine Wertschätzungskampagne auf Bierdeckeln für ihre Mitarbeiter. Fachgruppen-Obmann Mike P. Pansi: „Für die Mitarbeitenden in den Gastronomiebetrieben kommt oft mit dem Stress im Geschäft noch der Unmut der Gäste hinzu. Dies ist kein freundliches Arbeitsklima”.

Die Lohnkosten sind nur ein Teil der Kostensteigerung, die im Gastgewerbe mit einer Inflationsrate von 7,6 Prozent – mehr als doppelt so hoch wie die Teuerung allgemein – zu Buche schlägt. Auch die Energiepreise sind in der energieintensiven Branche ein Kostentreiber, die teureren Lebensmittel tragen ebenfalls dazu bei, dass die Preise für die Gäste seit dem Jahr 2020 um gut ein Drittel gestiegen sind. Er könne verstehen, dass das vielen Gästen aufstoße, sagt ein Wirt aus dem Montafon, doch wie er auch rechne: „Es gehe sich selbst mit den derzeit verlangten Preisen nicht aus.“

Bruttowertschöpfung: Dickes Minus

Seine Rechnung bestätigt eine Auswertung des Thinktanks Agenda Austria. Die Bruttowertschöpfung, die nominal um 39 Prozent gestiegen ist, sieht real traurig aus: Wirte und Hotelbetreiber haben mit einem dicken Minus von 16 Prozent zu leben, erklärt Ökonom Kluge und macht darauf aufmerksam, dass die Preissituation in Österreich „langfristig bedenklich ist“, weil die Touristen auf Länder ausweichen, die günstiger sind. „Die Regierung kann wenig machen, um gegenzusteuern“, macht er wenig Hoffnung, allenfalls könne man mit steuerlichen Anreizen dem Arbeitskräftemangel begegnen, die Rot-Weiß-Rot-Karte attraktivieren und bei Arbeitslosen die Zumutbarkeit anders gestalten.

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Regina Nesensohn, Standortleiterin des KSV 1870 in Feldkirch: “Beherbergung und Gastronomie gehören mit zehn Pleiten im ersten Halbjahr und 29 im vergangenen Jahr zu den Top-3 der besonders gefährdeten Branchen im Land. FA

Dass die Branche harte Zeiten durchlebt, zeigt sich durch Gasthausschließungen, die in Vorarlberg nun mit einer Gasthauskampagne bekämpft werden soll. Bis dahin gehören Beherbergung und Gastronomie mit zehn Pleiten im ersten Halbjahr und 29 im vergangenen Jahr zu den Top-3 der besonders gefährdeten Branchen im Land, wie Regina Nesensohn, Leiterin des KSV 1870-Standortes Feldkirch informiert. Österreichweit haben im vergangenen Jahr exakt 662  Betriebe Insolvenz angemeldet. Das sind fast 19 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Außerdem gibt es weitere Schließungen, weil sich keine Nachfolger finden, bzw. die bei Übernahme notwendigen Investitionen nicht zu stemmen sind. Für den Dornbirner Gastronomen bleibt nur eins: Er appelliert an die Gäste, dennoch nicht auf den Besuch in einem Lokal zu verzichten. Und Verständnis aufzubringen für die Preise, denn „es ist nicht der Wirt, der sich die Taschen füllt“.