Die VN fragen nach: Verhaltensökonom Gerhard Fehr zu Koalitionsverhandlungen

Drei Fragen, drei Antworten zur Regierungsbildung in Österreich.
Hat sich die ÖVP nicht in den Koalitionsverhandlungen in eine fast ausweglose Situation manövriert?
Die ÖVP steckt in einem Dilemma: Eine Koalition unter falschen Vorzeichen mit der FPÖ könnte ihre Wählerbasis mittelfristig noch stärker schrumpfen lassen, doch eine Alternative fehlt. Eine Zusammenarbeit mit SPÖ und NEOS wäre auch instabil, eine Minderheitsregierung riskant, Neuwahlen könnten die ÖVP auch weiter schwächen. Doch die Lage ist nicht ausweglos – wenn die ÖVP aktiv handelt, statt sich von der FPÖ in die Defensive drängen zu lassen. Sie muss die Verhandlungen so führen, dass entweder eine Koalition unter ihren Bedingungen entsteht oder die FPÖ für das Scheitern verantwortlich gemacht wird.
Welche strategischen Möglichkeiten hat die ÖVP noch, um ihre Verhandlungsposition zu verbessern?
Die ÖVP hat drei zentrale Hebel: Erstens: Offensiv verhandeln – Klare rote Linien setzen, statt nur auf FPÖ-Forderungen zu reagieren. – Kickl unter Druck setzen: Entweder er zeigt Kompromissbereitschaft – oder er trägt die Verantwortung für das Scheitern. Zweitens: Minderheitsregierung prüfen – Eine von SPÖ oder Neos tolerierte Regierung könnte Zeit verschaffen und zeigen, dass die ÖVP handlungsfähig ist. Drittens: Die FPÖ als Risiko für Stabilität positionieren – Kickl als unsicheren Partner darstellen und sich selbst als Stabilitätsgarant präsentieren.
Wie könnte eine kluge Strategie der ÖVP aussehen – und welches Ergebnis ist am wahrscheinlichsten?
Die ÖVP darf sich nicht in die Defensive drängen lassen. Eine kluge Strategie könnte so aussehen: Sie stellt in den Verhandlungen hohe Bedingungen, um Kickl unter Druck zu setzen. Sie kann sich die Option einer Minderheitsregierung offen halten , um die FPÖ nicht alternativlos zu machen. Oder sie bereitet sich auf Neuwahlen vor, indem sie sich als Stabilitätsgarant positioniert. Das wahrscheinlichste Ergebnis bleibt eine FPÖ-ÖVP-Koalition – aber nur, wenn die ÖVP ihre Bedingungen durchsetzt. Falls Kickl die Verhandlungen platzen lässt, riskiert er, langfristig keine Koalitionsoption mehr zu haben – ähnlich wie die Kommunisten in Italien über 50 Jahren, die trotz hoher Wahlergebnisse jahrzehntelang von der Regierung ausgeschlossen blieben.
Die ÖVP hat wenig Spielraum, aber noch Optionen. Entscheidend ist, ob sie strategisch agiert und sich nicht von der FPÖ dominieren lässt.