„Was kann künstliche Intelligenz?“

Wird sie Wohlstand für alle schaffen, Krebs heilen und das Klimaproblem lösen?
Wien Künstliche Intelligenz ist zum Hoffnungsträger und Angstobjekt zugleich geworden. Zwischen utopischen Heilsversprechen und apokalyptischen Warnungen geht oft der nüchterne Blick darauf verloren, was sie heute kann – und was nicht. Inmitten dieser aufgeheizten Debatte meldet sich nun mit Univ.-Prof. Dr. Sepp Hochreiter einer der renommiertesten KI-Forscher der Welt zu Wort. Er ist der Erfinder des LSTM-Netzes und legt mit seinem neuen Buch eine gleichermaßen fundierte wie kritische Reflexion über den Stand und die Zukunft der KI vor.
Nein, noch fährt kein KI-System autonom Auto, macht die Wäsche oder löst unsere Alltagsprobleme. Auch das viel beschworene Szenario einer „Superintelligenz“, die den Menschen überflügelt, hält er für überzogen – nicht zuletzt, weil es an einer klaren Definition dieser Begriffe fehlt. Vielmehr konstatiert er ein grundlegendes Missverständnis: Große Sprachmodelle wie ChatGPT reproduzieren Sprache, verstehen sie aber nicht im menschlichen Sinn.
Anhand anschaulicher Beispiele – etwa dem berühmten „Pfirsich-Problem“, bei dem KI an irrelevanten Zusatzinformationen scheitert – zeigt Hochreiter auf, dass heutige Systeme zwar beeindrucken können, aber noch grundlegende Defizite im Weltverständnis haben. Seiner These zufolge fehlt es KI an echtem Verständnis, an der Fähigkeit, Kontext zu abstrahieren, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu erfassen und über reines Statistiklernen hinauszugehen.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Dabei geht es dem Autor keineswegs um eine pauschale Abwertung der Technologie. Im Gegenteil: Hochreiter sieht die KI an einem entscheidenden Wendepunkt. Nach der Grundlagenforschung und der Skalierung großer Modelle sei nun die Zeit gekommen, KI-Methoden in die wirtschaftliche Anwendung zu überführen – mit realem Nutzen für die Gesellschaft. Besonders Europa müsse, so betont er, die Gelegenheit ergreifen, um durch enge Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie eine eigene Innovationskraft zu entfalten.
Die Vision, die Hochreiter entfaltet, ist ehrgeizig, aber nicht utopisch: eine KI, die reale Vorgänge physikalisch und biologisch modellieren kann, etwa zur Entwicklung neuer Medikamente, zur Bekämpfung des Klimawandels oder zur Optimierung industrieller Prozesse. Ziel sei nicht das bloße Generieren von Texten oder Bildern, sondern ein tiefes, mathematisch exaktes Verstehen der Welt.
„Was kann künstliche Intelligenz?“ ist ein gleichermaßen persönlich geprägtes wie sachlich präzises Buch. Hochreiter beschreibt seinen eigenen Weg von der Diplomarbeit über neuronale Netze bis zur heutigen Forschungsfront, spart nicht mit Kritik an übertriebenen Versprechungen aus Wirtschaft und Medien und formuliert dennoch ein klares Plädoyer für eine verantwortungsvolle und zukunftsorientierte KI-Entwicklung.