“Anspruchsdenken wieder dem Gemeinwohl unterordnen”

Michael Grahammer über die Finanzen der öffentlichen Hand und weshalb man sich dafür interessieren sollte.
Weshalb sollten wir uns vermehrt für die Finanzen unserer Gemeinden, unseres Landes und das Bundesbudget interessieren?
Weil wir sämtliche Debatten um Pensionsreformen, um Gesundheits- und Spitalsreformen, um die Förderung von Vereinen, um Gehaltsabschlüsse im öffentlichen Dienst, in der Pflege und in Sozialeinrichtungen nicht korrekt einordnen können, wenn wir ohne Berücksichtigung des nicht vorhandenen finanziellen Spielraums zu diesen Themen Stellung beziehen oder eine Meinung abgeben. Wir befinden uns tatsächlich in einer Situation, in der wir gerade noch mitbestimmen können, welcher Einschnitt in unserem täglichen Leben am wenigsten schmerzt. Und nachdem der Staat wir alle sind, gilt es in erster Linie, unser eigenes Anspruchsdenken wieder dem Gemeinwohl unterzuordnen.
Und was ist die Rolle der Politik?
Die Politik benötigt auf der einen Seite unser Grundverständnis, um schmerzhafte Einschnitte umsetzen zu können. Andererseits ist es ihre eigene Aufgabe und Verantwortung, einen politischen Konsens für große Lösungen zu finden und zu ermöglichen, um anschließend ausgewogene strukturelle Maßnahmen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite konsequent umzusetzen und zu kommunizieren. Dabei muss sich die Politik auf allen Ebenen ihrer Führungsaufgabe für den öffentlichen Dienst, ihrer Verantwortung für Gesetzgebung und für unser aller Steuergeld wieder stärker bewusst werden.
Was lehren uns andere europäische Länder?
Im negativen Sinne hat uns in den letzten Monaten Frankreich gelehrt, wie Anspruchsdenken und politisches Kleingeld Strukturreformen vereiteln können. Heute wird das Land von internationalen Investoren und Kapitalgebern riskanter gesehen als Italien, bezahlt höhere Zinsen als sein Nachbar und beträchtliches französisches Vermögen fließt in politisch berechenbarere Länder wie die Schweiz und Luxemburg. Umgekehrt hat Italien die stabilste Regierung seit Jahrzehnten, das Pensionsalter ist wesentlich höher als in Frankreich (und in Österreich) und es bezahlt den geringsten Risikoaufschlag auf Anleihen seit vielen Jahren. Und ein Blick in die Schweiz oder nach Skandinavien lohnt ohnehin allemal.