Lachen in Zeiten von “Cancel Culture”

Deutschlands bekannter Satiriker und Kabarettist über die Ärgernisse seines Lebens.
düsseldorf Er ist Kabarettist, Comedian, Bestseller-Autor und erfolgreicher Fotograf. Heute wird Dieter Nuhr 60 Jahre alt. Auf der Bühne nimmt Nuhr kein Blatt vor den Mund. Warum das wichtig ist, erzählt er im Interview.
Wie feiern Sie Ihren 60. Geburtstag?
nuhr Normalerweise sind wir an meinem Geburtstag immer irgendwo in der Welt auf Reisen. Diesmal werden wir wohl in Italien sein. Feiern kann man ja nicht. Man kann gerade nicht 100 Leute zusammentrommeln. Das ist halt so in diesen Tagen.
Vor zehn Jahren haben Sie sich über Leute beklagt, die Ihnen vorschreiben wollen, wie Sie zu leben haben. Gibt es die immer noch?
Nuhr Ja, und es ist flächendeckender geworden. Es gibt kaum noch ein Thema, bei dem nicht Leute fordern, dass man den Mund hält und das einem die Sendung weggenommen wird. Für mich ist das aber kein so großes Problem wie für andere. Ich kann mich wehren. Bei jungen Künstlern ist das anders.
Werden Sie auch körperlich bedroht?
nuhr Nein, der Shitstorm ist ja die humane Variante des Mundtotmachens. Es geht um Berufsverbote, um das Nichtengagieren von Künstlern, um Mobbing. Aber man weiß natürlich nicht, wo diese Entwicklung hingeht.
Sie werden auch angefeindet, weil Sie gegen gendergerechte Sprache sind.
nuhr Ja, die benutze ich nicht. Der grammatikalische Artikel hat im Deutschen mit dem Geschlecht des Bezeichneten nichts zu tun. Daraus abzuleiten, ich hätte nichts übrig für die Gleichberechtigung und die Freiheit aller Lebensentwürfe, das kann nur böswillig gemeint sein. Bestimmte Gruppen beanspruchen da für sich die Hoheit über die Zeichen, die Herrschaft über die Sprache.
Diese Leute glauben, man müsse die Sprache ändern, damit sich die Realität ändert?
Nuhr Das ist unbelegter ideologischer Krempel, der jeder Grundlage entbehrt. Ich habe noch kein einziges Argument dafür gehört, dass, wenn ich ein „-innen“ anfüge, dies die Stellung von Frauen oder Trans-Personen in der Gesellschaft ändern würde. Dieser Glaube, die Realität würde sich der Sprache anpassen, ist ja ohne jeden Beleg und meines Erachtens einfach ein Zeichen für ideologischen Kontrollwahn.
Seit wann weht Ihnen der Wind so ins Gesicht?
nuhr Gute Frage. Irgendwann wurde entdeckt, dass ich das kabarettistische Klischee verlassen habe. Natürlich ist jeder gegen den Klimawandel, aber wenn man anfängt, darüber nachzudenken, was man wirklich dagegen tun kann, verlässt man oft schon die gemeinsame Basis. Dann wird man vom Freund plötzlich zum Feind. Wenn ich einen Grünen kritisiere, bin ich sofort ein Klimaleugner, wenn ich die AfD kritisiere, bin ich ein Volksverräter. Drunter macht es keiner mehr. Skandalisierung ist der Normalzustand unserer Auseinandersetzung geworden. Dass ausgerechnet ich da ständig mitten drin bin, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich ideologisch nicht leicht verortbar bin.“
Ist diese neue Hysterie ein Social-Media-Phänomen?
nuhr Natürlich hat das damit zu tun, dass jeder jetzt eine Art Flüstertüte hat, mit der er sich bemerkbar machen kann. Aber viele Medien, die man früher als Alternative dazu hatte, sind inzwischen Verstärker dieses Wutbürgertums, indem sie morgens die Twitter-Trends checken. Was da getrendet hat, landet dann in der Zeitung. Leider machen sich die alten Medien damit überflüssig.“
Ermüdet Sie diese Hysterie manchmal?
nuhr Oft. Ich kann es aber nicht ändern. Das sind eben die Rahmenbedingungen heute. Es ist nicht berechenbar, wann der Shitstorm wieder losgeht. Dass meine Sicht der Dinge als derart polarisierend wahrgenommen wird, ist einfach lächerlich, weil ich eigentlich die Dinge nur weiterdenke und nicht radikalisiere. Ich halte den Dauershitstorm für ein schlimmes Symptom, weil er zeigt, wie sehr sich die Bereitschaft verringert hat, andere Denkansätze als bereichernd zu empfinden.
Denken Sie manchmal darüber nach, nur noch zu fotografieren?
Nuhr Nein, im Gegenteil. Ich halte es für wichtiger denn je, mitzureden, nicht klein beizugeben. Je größer die Lautstärke wird, für umso wichtiger halte ich nachdenkliche Stimmen. Und, ehrlich gesagt, halte ich mich für eine nachdenkliche Stimme, auch wenn in der Zeitung steht: „Nuhr wütet wieder“ – das ist sowieso immer gelogen. Ich wüte nie. Ich spreche in der Regel ruhig und bedacht. Ich versuche, mit Freude an der Auseinandersetzung auf lustige Art Nachdenklichkeit zu erzeugen. Ich glaube, dass deswegen so viele Leute meine Sendung gucken.
Zur Person
Dieter Nuhr
Kabarettist, Komiker, Autor, Fotograf und Moderator
Geboren 29. Oktober 1960
Ausbildung Studium Kunst und Geschichte auf Lehramt
Laufbahn Erstes Soloprogramm 1994, seither auf der Bühne und Fernsehen aktiv.
Preise Deutscher Kleinkunstpreis, fünfmal Deutscher Comedypreis