“Plötzlich stand uns alles offen”

Nadja Uhl über die deutsch-deutsche ARD-Serie „ZERV“ und die Jahre nach der Wende.
Berlin Berlin 1992: Die Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, kurz „ZERV“ soll kapitale Verbrechen aus der Zeit der DDR und der Wende aufklären. West-Kommissar Peter Simon (Fabian-Hinrichs) und seine Leute machen sich in der sechsteiligen ARD-Serie „ZERV – Zeit der Abrechnung“ an die Arbeit, merken aber bald, dass sie ohne Hilfe der Kollegen aus dem Osten nichts ausrichten. Schon bald sind Simon und seine Ost-Kollegin Karo Schubert (Nadja Uhl) in den Kampf mit alten Seilschaften verstrickt, die auch vor Mord nicht zurückschrecken.
Frau Uhl, wie war es, sich für die Dreharbeiten der Serie „ZERV“ in diese typischen Neunziger-Jahre-Jeans zu zwängen?
Uhl Das hat Spaß gemacht, wobei die Dinger heutzutage ja fast schon wieder modern sind (lacht). Zeittypische Gegenstände oder Kostüme sind ja oft Trigger für die Zeitreise, die die Zuschauer, aber auch die Schauspieler bei einem solchen Projekt machen.
Welche Erinnerungen haben Sie an die unmittelbare Nachwendezeit Anfang der Neunziger, in der die Serie spielt?
Uhl Mit dem unfassbaren Ereignis des Mauerfalls 1989 öffnete sich die ganze Welt, und dann ging es Schlag auf Schlag. Plötzlich stand uns alles offen. Ich studierte Anfang der neunziger Jahre Schauspiel in Leipzig und bin mit Freunden aus München in die Alpen gefahren, wo ich Snowboarden gelernt habe, wir haben in Clubs gefeiert – es war damals ja auch eine unglaubliche Partyzeit.
Welche ersten Eindrücke hatten Sie vom Westen?
Uhl An der Mauer hörte bis zu diesem Zeitpunkt die Welt für uns auf, und wir sind in dem Glauben großgeworden, bestimmte Länder und Städte nie zu sehen. Ich glaubte, nie nach Paris, London oder New York zu kommen, und plötzlich durfte ich in den Westen, in diese andere Welt. Das war einfach überwältigend.
Welches Verhältnis hatten Sie zu DDR-Zeiten zur SED-Diktatur?
Uhl Ich hatte zunächst einmal eine sichere, schöne und soziale Kindheit, bin sehr gerne in den Kindergarten gegangen und hatte tolle Lehrer. Manche haben natürlich die üblichen sozialistischen Phrasen gedroschen, aber wir hatten auch ganz tolle, integre Lehrer, die uns weitergebracht haben. Es war alles ganz okay – bis zu dem Moment, als sich meine Familie im Umweltschutz engagiert hat und ins Visier geraten ist, mein Onkel war später in Bautzen inhaftiert. Ich durfte zwar Abitur machen, aber da hat sich meine Einstellung zur DDR geändert.
Konnten Sie sich persönliche Freiräume schaffen?
Uhl Klar, meine Freunde und ich sind in alternative Clubs gegangen, wo Punkmusik und so gespielt wurde, das war unser Ausweg, dieser Tristesse und dieser Spießigkeit zu entfliehen. Ich war von der Macht der Spießbürger abgestoßen, die uns überwacht und kontrolliert haben.
Es geht in der ZERV-Serie auch um Westdeutsche, die in den Neunzigern in Ost-Berlin aufschlagen und alles besser wissen. Haben Sie solche Besser-Wessis damals selber erlebt?
Uhl Es gab so eine Grundhaltung, die mir beim Kontakt mit jungen Westdeutschen aufgefallen ist. Viele empfand ich als wenig reflektiert, sie haben sich wenig Gedanken über Politik oder ihr eigenes Sein gemacht und waren voll hedonistisch drauf. An den Hintergründen des Lebens in der DDR waren sie nicht interessiert, sie wollten hauptsächlich Fun, glaube ich. Außerdem hat mich dieser Zwang zur Selbstvermarktung und der Hang zu einer gewissen Unantastbarkeit irritiert, der für viele so bezeichnend war. Auf der anderen hatte diese typische Art der jungen Leute aus dem Westen auch ihre Vorteile.
Gibt’s den Gegensatz zwischen Ossis und Wessis heute noch?
Uhl Den gibt’s schon noch, aber er ist nicht mehr so wichtig. Er macht nur einen ganz geringen Anteil an der unsäglichen Spaltung unserer Gesellschaft aus.
Was kann man gegen die Spaltung machen?
Uhl Man muss bei sich selber im Kleinen anfangen und versuchen, wirklich Interesse am Anderen zu haben. Es geht um Toleranz und nicht ums Rechthaben. maw
„ Ich war von der Macht der Spießbürger abgestoßen, die uns überwacht haben.“