Die Spurenleserin

Christina Jackel ist Expertin für deutschsprachige Handschriften des Mittelalters.
Klosterneuburg, Schwarzach „Nein, ich arbeite nicht mit Handschuhen“, antwortet eine lachende Christina Jackel auf die Frage, ob sie dieses Hilfsmittel zum Umblättern von Büchern benutzt. Denn die in Höchst Aufgewachsene arbeitet als wissenschaftliche Bibliothekarin in der Stiftsbibliothek Klosterneuburg. Dort hat sie auch mit unersetzlichen Bücher-Unikaten zu tun, die bis zu 1000 Jahre alt sind. „Die Expertenmeinungen gehen beim Einsatz von Handschuhen auseinander. Wir sind der Meinung, dass man mit Handschuhen zu wenig Gefühl beim Umblättern hat und auch der Abrieb der Seiten höher ist“, erklärt die Germanistin.
Christina Jackel arbeitet bei mehreren Forschungsprojekten mit. Ein aktuelles Projekt beschäftigt sich mit einem ehemaligen Frauenkloster. „Wir recherchieren in der mittelalterlichen Büchersammlung des Stifts, was Frauen geschrieben und gelesen haben.“ An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeitet sie an einem Projekt zur Einführung der arabischen Zahlen in Mitteleuropa mit. Für ihre Arbeit wurde sich auch ausgezeichnet. Vor Kurzem hat das Land Vorarlberg der Expertin für deutschsprachige Handschriften des Mittelalters den Spezialpreis des Vorarlberger Wissenschaftspreises verliehen.
Entscheidung für das Handwerk
Auf das Thema Mittelalter ist sie erst während des Studiums in Wien gekommen. Doch bis es so weit war, hat die 48-Jährige ihre akademische Laufbahn für eine Lehrausbildung unterbrochen. „Als das Germanistik- und Theaterwissenschaftenstudium durch Sparpakete und Studentenproteste stockte, entschied ich mich für eine Tischlerlehre“, erzählt die passionierte Bücherleserin, die den Bodensee und das Skifahren vermisst. Dafür ging es nach Vorarlberg zurück. Nach bestandener Lehrabschlussprüfung zog es sie wieder in die Bundeshauptstadt. Dort hat die Wahlwienerin sieben Jahre als Tischlerin gearbeitet. Zuerst war Christina Jackel im Ausstellungsbau tätig, dann arbeitete sie für eine auf Bühnenbilder spezialisierte Firma. „Viele Museen wollen ein Erlebnis bieten. Vor das Wiener Künstlerhaus haben wir beispielsweise ein riesiges Schiff mit einem 20 Meter hohen Mast gebaut“, erinnert sich Jackel an eine spannende Zeit zurück.
Mittelalter an der Uni entdeckt
Den Weg zurück zur akademischen Ausbildung beschritt sie während ihrer ersten Karenz. „Ich traute mich kaum übers Studium. Aber bestärkt durch Familie und Freunde machte ich den Abschluss“, erzählt die Zweifach-Mama weiter. Besonders angetan hatte es ihr die mittelalterliche Literatur. Durch ein Zusatzmodul zum Germanistikstudium ist sie auf Handschriften gestoßen. Mit ihrer Mitarbeit am Projekt „Mittelalterliche Geheimschriften“ vertiefte sie ihr Wissen und begann mit ihrer Doktorarbeit. Die Faszination für diese Materie nährte noch zusätzlich eine Exkursion in die Stiftsbibliothek Klosterneuburg.
Das Arbeiten mit ihren Händen lässt sie auch in ihrer Freizeit nicht los. Sie hat sich eine kleine Werkstatt zum Töpfern eingerichtet. „Das ist nicht so aufwendig wie eine Tischlerei.“ Ihre Kenntnisse als Tischlerin setzt sie hauptsächlich dann ein, wenn Freunde und Familie Hilfe beim Umbauen oder Restaurieren brauchen. VN-pag
„Bestärkt durch Familie und Freunde machte ich meinen Studienabschluss.“





Zur Person
Dr. Christina Jackel
wissenschaftliche Bibliothekarin in der Stiftsbibliothek Klosterneuburg
Ausbildung Germanistikstudium an der Uni Wien; Tischlerlehre; Promotion zum Bestand und zur Bestandsgeschichte der deutschsprachigen Handschriften in der Stiftsbibliothek Kremsmünster
Auszeichnung Vorarlberger Wissenschaftspreis 2022-Spezialpreis
Wohnort Wien
Geboren 1974
Familie verheiratet, zwei Kinder
Hobby Töpfern, Lesen, Stadtleben genießen, Reisen
Lieblingsbuch „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ von Christoph Ransmayr