Eine ganz besondere Biografie

Annelies Herburger schrieb die schrecklichen Ereignisse der letzten Kriegsnacht für ihre Nachkommen nieder.
feldkirch Es geschah in den letzten Kriegstagen. Französische Truppen hatten bereits Friedrichshafen eingenommen und würden bald Vorarlberg erreichen. Vom 2. auf den 3. Mai 1945 flogen Granaten aus französischen Panzern auf Götzis. Eine davon traf das Haus- und Geschäftslokal der Familie Lampert. Vier Menschen, die sich im tiefen Gewölbekeller des Gebäudes sicher wähnten, fanden den Tod. Annelies Herburger war damals 17. Sie verlor ihre Mutter und ihren älteren Bruder. Außerdem starben zwei Bäckergesellen im Granatenhagel. Sie und der jüngere Bruder waren auf Drängen des älteren Bruders nach Meschach gegangen und überlebten. Doch für die Kinder wurde es die traurigste Heimkehr ihres Lebens. Annelies aber trotzte dem Schicksal und baute das Geschäft mit tatkräftiger Unterstützung vieler guter Menschen, wie sie sagt, wieder auf.

Lebendige Erinnerungen
Die schrecklichen Ereignisse haben sie jedoch nie losgelassen. Mit 80 begann Annelies Herburger, die Geschichte aufzuschreiben. „Auch meine Kinder, Schwiegerkinder, Enkel und Urenkel sollen sie nicht vergessen“, sagt die rüstige Seniorin. Gestern, Freitag, durfte sie ihren 95. Geburtstag feiern. Als Geschenk gab es von der Familie die „Erinnerungen“ in gebundener Form. Obwohl tragisch, ist das, was Annelies Herburger geleistet hat, gleichzeitig eine Erfolgsgeschichte. Dabei hat sie als Teenager gar nicht gerne gearbeitet. „Ich hätte am liebsten nur gelesen und Klavier gespielt“, erzählt sie, während ein wissendes Lächeln über ihr freundliches Gesicht huscht. Selbst die Mutter war, was das Fortkommen der Tochter betraf, skeptisch. „Annelies kommt nicht weit“, hörte das Mädchen mehr als einmal. Das galt letztlich nur für die Handelsakademie, die Annelies besuchen wollte. Doch sie verzichtete. Die Mutter brauchte sie, nachdem der geliebte Vater 1941 an Krebs gestorben war.

Pflichtbewusstsein
Pflichtbewusstsein zeigte die junge Frau auch, als es darum ging, das Leben wieder in die Hand zu nehmen. Sie kümmerte sich um den vier Jahre jüngeren Bruder und machte sich an den Wiederaufbau des Lebensmittelgeschäfts sowie der Bäckerei. “Ich wollte etwas leisten”, sagt Annelies Herburger im Rückblick. Sie scheute auch vor Neuem nicht zurück. Das Geschäft entwickelte sich gut. 2000 wurde es verkauft und Annelies beendete zufrieden mit 73 ihre Laufbahn. Endlich hatten sie und ihr Mann Josef mehr Zeit füreinander.

Trotz Schicksalsschlägen und viel Arbeit spricht Bäcks Annelies, wie sie auch genannt wird, von einem schönen und erfüllten Leben: “Ich bin den vielen Menschen, die mich unterstützten und an mich glaubten, überaus dankbar.” Zum Wiegenfest wünscht sich die betagte Jubilarin noch ein paar gesunde Jahre, um das Aufwachsen ihrer Enkel und Urenkel miterleben zu können. Die Freizeit verbringt sie mit Lesen. Früher wälzte sie dicke Bücher, heute leichte Kost von Hedwig Courths-Mahler. “Die Geschichten gehen immer gut aus”, merkt Annelies schmunzelnd an.

Zur Person
Annelies Herburger
Geboren: 14. April 1928
Wohnort: Feldkirch
Familienstand: verwitwet, vier Kinder, sechs Enkelkinder, vier Urenkel
Hobbys: Lesen, ab und an noch Klavierspielen

