Steroiden auf der Spur

Bei Steroiden denken viele an Doping und muskelbepackte Hünen. Für Clarissa Vögel geht es dabei um viel mehr.
BERN Cholesterin, Cortisol, Aldosteron, Testosteron, Östrogen und Progesteron – sie alle sind körpereigene Steroidhormone und spielen im Körper eine wichtige Rolle für die psychische und physische Gesundheit. Ihnen auf der Spur ist Clarissa Vögel als Leiterin der Steroid-Analytik im Inselspital Bern. „Wenn die Hormone nicht in Balance sind, merkt man das“, erklärt die Exil-Bregenzerin. Denn Steroidhormone sind ebenfalls Botenstoffe und erzählen viel über die Funktionsabläufe im Körper.
Zwischenstation Forensik
Der Weg ins Inselspital Bern führte für die studierte Chemikerin jedoch während ihres Masterstudiums und Doktorats über die Forensik, die angewandte Rechtsmedizin. „Damals bin ich das erste Mal mit der Steroid-Analytik in Kontakt gekommen“, erinnert sich die 30-Jährige.
Damals ging es jedoch weniger um ein Verbrechen, sondern um die Erforschung von Dauerstress. Denn bei Stress wird Cortisol ausgeschüttet und normalerweise wieder abgebaut. Dauerhaft hohe Stress- und damit Cortisol-Level sind jedoch sehr ungesund. Den notwendigen Blick in die Vergangenheit konnte hier die Forensik liefern. „Den Cortisol-Level kann man jetzt zum Beispiel im Blut, Urin oder Speichel messen. Das sind so die klassischen Zugänge“, erklärt Vögel. „Es gibt aber auch die Möglichkeit, den zum Beispiel in den Haaren zu messen. Und das kommt eigentlich aus der Forensik.“
Und gerade die Schweizer Forensiker haben viel Erfahrung in der Analyse von Haarproben. Diese erlauben einen Blick mehrere Monate weit in die Vergangenheit, etwa bei Drogenvergehen. Und irgendwann fragten sich die Experten der Forensik, was sie sonst alles nachweisen können. Denn nicht nur extern zugeführte Stoffe wie Drogen lagern sich in den Haaren ab. Und tatsächlich, Steroide und andere Hormone hinterlassen ihre Spuren auch in den Haaren und Fingernägeln. Und plötzlich untersuchte die Forensik etwa, ob und wie sich Stresshormone bei Kokainkonsumenten von anderen Menschen unterscheiden.
„Es ist ein Thema in der Suchtforschung, was sich langfristig im Körper durch den Konsum verändert“, betont Vögel. So konnten sie zeigen, dass der Konsum langfristig auch zu höheren Cortisol-Leveln führte. Die Konsumenten hatten damit mehr körperlichen Stress und verwendeten Kokain als Stresshemmer.
Blick in die Vergangenheit
Doch auch abseits von Gerichtsmedizin und Drogenkonsum sind die Möglichkeiten endlos: Bereits im Mutterleib beginnt das Wachstum von Haaren und Fingernägeln, sie erlauben damit einen schad- und gefahrlosen Blick in eine Schwangerschaft zurück. „Wir haben alle möglichen wilden Projekte gemacht“, gibt die Chemikerin zu. Etwa, wie gestresst die Schweizer Kühe sind und welchen Einfluss dies auf die Milchproduktion und -qualität hat.
In der Medizin lassen sich über Steroide Tumore finden, kann man Fragen von Kleinwüchigkeit und verfrühter Pubertät ebenso nachgehen wie Kinderwunschsorgen. Hinzu kommen aber auch psychische Krankheiten. Denn oft sind die Hormone nicht nur Symptom, sondern Ursache eines gesundheitlichen Problems. Dementsprechend erlaubt Vögels Arbeit als Analytikerin neue Behandlungsansätze in der individualisierten Medizin. Die Steroid-Analytik kann auch der Psychiatrie als Ergänzung messbare, nachvollziehbare Daten zum Hormonhaushalt liefern und damit Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. VN-RAU
„In der Forensik bin ich das erste Mal mit Steroid-Analytik in Berührung gekommen.“



Zur Person
Clarissa Vögel
ist Laborleiterin des Steroidlabors am Inselspital Bern
Geburtstag Juni 1992
Familienstand vergeben
Ausbildung Doktorin der Naturwissenschaft (Dr.sc.nat.)
Wohnort Zürich