„Ich will noch 400 Jahre leben“

Iris Berben über den Science-Fiction-Film „Paradise“, den Traum von ewiger Jugend und künstliche Intelligenz.
Berlin Sie gehört zu Deutschlands populärsten Schauspielerinnen und glänzt regelmäßig in anspruchsvollen Charakterrollen: Iris Berben ist auch mit 72 Jahren gefragt wie eh und je. Im Science-Fiction-Thriller „Paradise“ (ab 27.7., Netflix) spielt sie die Chefin eines Startup-Unternehmens, das in naher Zukunft eine revolutionäre Technik entwickelt: Lebenszeit kann von Mensch zu Mensch übertragen und käuflich erworben werden – dem Missbrauch sind Tür und Tor geöffnet.
Frau Berben, ist „Paradise“ Ihr erster Near-Future-Film?
Berben Es gab vor sehr langer Zeit schon mal einen Science-Fiction-Film, aber an den kann ich mich nicht mehr erinnern. Was auch kein Wunder ist: Mir wurde vor wenigen Tagen gesagt, dass ich seit genau 55 Jahren Filme mache – ich kann sie mir wirklich nicht alle gemerkt haben (lacht).
In „Paradise“ geht es um eine Welt, in der Lebenszeit zur Handelsware wird – die Reichen können sie kaufen und damit ewige Jugend erlangen. Wie finden Sie diesen Gedanken?
Berben Das ist im Grunde eine verführerische Idee, bis man herausfindet, wie man an diese zusätzlichen Jahre gelangt: Man nimmt sie den ärmeren Menschen weg, die nichts besitzen außer ihrer Lebenszeit. Und dann passiert eben genau das, was in unserer Welt ganz real passiert, die Ausbeutung derer, die ihre Ressourcen zur Verfügung stellen müssen. Ich würde mir wünschen, so ein Kauf zusätzlicher Lebenszeit wäre möglich, ohne dass man dafür einen Menschen verletzen muss.
Was würden Sie mit der zusätzlichen Zeit machen?
Berben Ich würde mir nicht wünschen, 40 Jahre jünger zu werden, wie das in unserem Film geschieht, sondern ich würde mir wünschen, noch 400 Jahre zu leben. Das entspricht eher der Neugierde, die ich habe. Schauen Sie sich doch die Veränderungen um uns herum an. Ich habe Lust zu wissen: Was macht das mit mir, mit einer Gesellschaft? Aber dann sollte natürlich auch alles funktionieren in diesen 400 Jahren, vor allem mein Gehirn.
Haben Sie keine Angst vor der Zukunft?
Berben Nein, ich bin ein eher angstfreier Mensch. Beunruhigend finde ich die Angst der anderen Menschen. Diejenigen, die wir nicht mehr erreichen, die abgleiten in die Hände der Menschenfänger, die ihnen leichte Antworten geben auf die komplizierten Fragen unserer Zeit. Da sehe ich die Gefahr, dass wir uns als Gesellschaft auseinanderdividieren, deshalb müssen wir Menschen, die verunsichert sind, an die Hand nehmen. Ich selber bin eher neugierig auf die Entwicklungen – sagen wir nur mal künstliche Intelligenz (KI).
Wurde künstliche Intelligenz bei „Paradise“ verwendet, zum Beispiel um Sie optisch zu verändern? Ihre Filmfigur ist ja in verschiedenen Altersstufen zu sehen.
Berben Nein, ich bin so alt, wie ich in dem Film aussehe (lacht). Und das jüngere Ich meiner Figur wird von der Schauspielerin Alina Levshin gespielt. Es gibt zwar die Möglichkeit, Schauspieler digital zu verjüngen, aber die ist extrem aufwendig und kostet ein immenses Geld, deshalb haben wir uns dagegen entschieden.
Werden Schauspieler irgendwann durch KI überflüssig?
Berben Diese Frage stellen wir uns gerade alle. Werden Autoren überflüssig, oder vielleicht Schauspieler? Aber ich habe keine Angst vor KI. Ich bin mir sicher, dass das, was uns als Menschen ausmacht, ein extrem starkes Band ist: Auf die Welt zu kommen, dieses Leben zu leben und es dann auch wieder zu verlassen – was das mit den wirklichen Menschen macht, wird immer interessanter sein als alles Künstliche.
Ewige Jugend – ist das in Ihren Augen erstrebenswert?
Berben Natürlich nicht. Die Jugend ist wunderbar, und wir haben gerade eine kraftvolle, starke, politische Jugend. Ich hatte selber eine extrem gute Zeit. Die 60er und die 70er waren mit das Freieste, was man erleben konnte, und diese Freiheit habe ich auch ausgenutzt – in jeder Hinsicht. Jugend ist schön, aber sie ist nicht der Maßstab für ein Leben.
Ist das Filmgeschäft altersfeindlich?
Berben Weniger als früher, aber wir haben immer noch zu kämpfen. Es gibt nur eine, zwei Handvoll Schauspieler in meinem Alter, die so sichtbar sind wie ich. Die Schauspieler gibt es, aber man gibt ihnen die Rollen nicht. Da sind wir noch lange nicht, wo wir sein wollen. Aber nicht zuletzt dank der Streamingdienste sind wir auf einem guten Weg, die haben uns Serien gezeigt, in denen Geschichten über ältere Menschen erzählt werden, die auch generationsübergreifend funktionieren.
Der Film heißt „Paradise“. Wie sieht Ihr Paradies aus?
Berben Ich schaffe mir meine kleinen Paradiese auf Erden. Ich glaube nicht daran, dass es nach dem Tod noch ein Paradies gibt. Ich glaube aber auch nicht, dass das Paradies eine ferne Insel oder ein bestimmtes Reiseziel ist. Mein Paradies ist, nichts für selbstverständlich zu nehmen – daher weiß ich sehr genau, wie paradiesisch ich oft lebe. ski