So erlebt Stephanie Merdler in Tel Aviv den Krieg

Die aus Vorarlberg stammende Stephanie Merdler lebt seit vielen Jahren in Israel. Die Ereignisse der letzten Tage und deren Auswirkungen seien zuvor unvorstellbar gewesen.
Darum geht’s:
- Die Vorarlbergerin erlebte den Angriff in Tel Aviv mit.
- Zivilbevölkerung überrascht und unvorbereitet auf Hamas-Angriffe
- Pragmatismus und Zusammenhalt in der Bevölkerung trotz geschlossener Schulen und Geschäfte
Tel Aviv “Das Ganze begann mit einer großen Überraschung”, erinnert sich Stephanie Merdler an das Wochenende zurück. Die gebürtige Vorarlbergerin lebt seit 15 Jahren in Israel, ist Doppelstaatsbürgerin und arbeitet für die Israel Philharmonic Foundation. Der terroristische Hamas erwischte alle unvorbereitet. “Bei Konflikten der Vergangenheit, da gab es immer eine Art von Vorwarnung, in den Zeitungen, im Fernsehen oder vom Arbeitgeber”, erinnert sie sich. “Aber so kalt erwischt, das ist in meinen 15 Jahren in Israel noch nie vorgekommen.”
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Als um 05.30 Uhr die Luftschutzsirenen erklangen, wusste jeder, in welche Schutzräume er muss. “In vielen alten Häusern hier in Tel Aviv ist dies das Treppenhaus”, erklärt sie. Per App werden die Israelis informiert, wenn es wieder sicher ist.
Versuchte Normalität
In den Stunden danach zeigte sich allmählich das Ausmaß der Angriffe. Dass die Hamas stundenlang unbehelligt auf israelischem Boden morden und Menschen entführen konnte, entsetzte. “Das ist der Punkt, der jedes Vorstellungsvermögen überschritten hat – und gleichzeitig der absolute Albtraum jedes Israelis ist.” Da Organisationen wie die Hamas das Existenzrecht Israels absprichen und das Töten von Juden als heilige Pflicht darstellen, gilt in der Armee der Grundsatz, nicht einmal gefallene Israelis zurückzulassen. Und nun seien weit über 100 Menschen in den Händen der Terrororganisation. “Glauben Sie mir, es gibt hier niemanden, der nicht persönlich betroffen ist”, versichert Merdler.
Gilat Schalit
Der Soldat der israelischen Armee wurde am 25. Juni 2006 durch Terroristen der Hamas in Israel entführt. Erst 2011 einigten sich die israelische Regierung und die Hamas auf einen Gefangenenaustausch, wodurch Schalit am 18. Oktober des Jahres nach Israel zurückkehren konnte. Im Gegenzug wurden 1027 palästinensische Häftlinge freigelassen. (477 am 18. Oktober und 550 am 18. Dezember 2011). Sie waren für den Tod von etwa 200 Menschen mitverantwortlich.
Dabei war das Vertrauen in die Macht der Armee unerschütterlich. Nun habe Pragmatismus das Volk ergriffen, man unterstütze einander nach Möglichkeit. Auch für sie ist die Ausreise derzeit keine Option. “Im Vordergrund steht die humanitäre Hilfe, die Gemeinschaft”, betont Merdler. Zwar sind Schulen, Cafés und nicht lebensnotwendige Geschäfte meist geschlossen, dennoch wird der Versuch einer Normalität gelebt. “Um aus dieser Ohnmacht herauszukommen, um möglichst angstfrei zu bleiben – für uns selbst und auch für unsere Kinder”, betont sie. So wurde auch mit den Kindern vereinbart, dass sie ihre Konten in den sozialen Medien ruhend stellen. Zu groß ist die Gefahr, dort die nächsten Tage über Videos zu stolpern, in denen Geiseln gefoltert werden oder um ihr Leben betteln müssen. “Die Dimension des menschlichen Leidens hier ist unvorstellbar”, betont Merdler den Wert des Pragmatismus als Rettungsanker.
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Auch die ausgewanderte Vorarlbergerin weiß, dass die Frage nach dem “Wie” gerade viele in Tel Aviv beschäftigt. Dies gilt gerade mit der Debatte um die demokratische Zukunft Israels. Und auch die Regierung scheint zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen zu sein. Auch wenn derzeit der Krieg diese Fragen in den Hintergrund dränge, sei die Wut auf die Regierung groß. “Ich glaube, mit der jetzigen Regierung werden wir keinen einzigen Verschleppten befreien können”, fürchtet sie.
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Die Welt dürfe aber nicht die Rolle des Irans in diesem Konflikt, auch als Anheizer, nicht übersehen. Und auch wenn ihr Sorge derzeit in erster Linie den entführten Israelis und den Soldatinnen und Soldaten im Feld gilt, ist Medler nicht blind für das Leid der Palästinenser im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen: “Die Menschen in dieser Region brauchen viele gute Gedanken, viele Gebete – und das auf allen Seiten, damit dieses Töten sofort aufhört. Das muss unser Bestreben sein, um alle in diesen Konflikt Involvierten vor weiteren Verlusten zu schützen.”