“Was passiert mit Petzi, wenn wir nicht mehr sind?”

Menschen / 27.05.2024 • 16:02 Uhr
Kind, Fotos von Christa und Toni Schallert mit ihrer autistischen Tochter Petra.
Christa und Anton Schallert mit ihrer autistischen Tochter Petra.

Christa und Anton Schallert haben eine Tochter mit Autismus. Weil Petra nicht selbstständig leben kann, machen sich die Eltern Sorgen um ihre Zukunft.

Bürs Christa Schallert (76) ist ein sehr zufriedener Mensch. „Diese Zufriedenheit habe ich durch meine Tochter Petra bekommen, mit der ich durch viele Tiefen und Höhen gegangen bin.“ Petra kam vor 55 Jahren als das zweite Kind von Christa und Anton Schallert zur Welt. Die Eltern merkten bald, dass mit ihrer Zweitgeborenen etwas nicht stimmt. „Petra war sehr ruhig und begann nicht wie andere Kinder zu sprechen und zu gehen.“

Kind, Fotos von Christa und Toni Schallert mit ihrer autistischen Tochter Petra.
Das Christkind ist gekommen. Petra (links) mit ihrer Schwester Andrea.

Als sie eineinhalb Jahre alt war, suchten die Schallerts einen Kinderarzt auf. „Dieser hat uns an die Klinik in Innsbruck überwiesen.“ Dort teilten ihnen die Ärzte mit, dass ihr Kind geistig beeinträchtigt sei. Die Diagnose war für die Eltern ein Schlag ins Gesicht.

Der zehntägige Klinikaufenthalt wirkte sich verheerend auf Petra aus. „Ab da war sie ein Schreikind. Wenn man sie berührte, schrie sie.“ Die Mutter wusste sich keinen Rat mehr. „Petra schrie und schrie. Und wir wussten nicht, warum.“ Christa begann ihr Kind festzuhalten, wenn es heulte. „Ich hielt das Kind ganz fest in meinen Armen.“ Das wirkte. Mit der Zeit wurden die Abstände zwischen den Schreiphasen größer. „Ab dem vierten Lebensjahr wurde es mit dem Weinen besser.“

Kind, Fotos von Christa und Toni Schallert mit ihrer autistischen Tochter Petra.
Petra als kleines Mädchen.

Inzwischen hatte Petra Gehen und Sprechen gelernt. Als sie fünf Jahre alt war, besuchte sie den Kindergarten. „Ihr Verhalten war schwierig. Sie war unruhig und spielte nicht mit den anderen Kindern. Petra saß in einer Ecke und machte stereotype Bewegungen.“ Auch zu Hause benahm sie sich merkwürdig und zwanghaft. „Sie konnte den Lichtschalter x-Mal ein- und ausschalten und die Türe unzählige Male auf und zu machen.“ Zwänge bestimmen bis heute ihr Leben. „Petra muss ein Geschäft durch die gleiche Tür betreten und verlassen. Sie kann nicht anders und geht immer beim Ausgang rein und raus.“

Bereits als Kind verletzte sie sich selbst, weil man sie nicht verstand. „Sie stieß ihren Kopf immer wieder gegen die Wand, riss sich die Haare aus, bis sie eine Halbglatze hatte und schnitt sich mit einem Messer in den Arm.“

Kind, Fotos von Christa und Toni Schallert mit ihrer autistischen Tochter Petra.
Petra strickt gerne, am liebsten fertigt sie Socken an.

In der Sonderschule lernte Petra Lesen, Schreiben und Rechnen. „Aber die Lehrer waren mit ihr überfordert, weil ihr Verhalten so schwierig war.“ Auch die Eltern verstanden das auffällige Verhalten ihrer Tochter nicht, die aber oft auch ganz lieb sein konnte. Sie schämten sich manchmal sogar für ihr Kind, das in der Wut auch seine Kleider zerreißen und sich binnen Sekunden nackt ausziehen konnte.

Aber dann las Christa in einer Illustrierten einen Artikel über Menschen mit Autismus, über Kinder in einem Glashaus. „Ab da wusste ich, dass unsere Petra eine Autisitin ist. Jetzt konnte ich ihr Verhalten besser nachvollziehen. Unsere Beziehung verbesserte sich dadurch.“ Christa macht sich aber nichts vor. „Autisten verstehen uns nicht und wir sie nicht. Die Gefühlswelt von Petra ist nicht die unsere. Sie fühlt anders als wir.“

Kind, Fotos von Christa und Toni Schallert mit ihrer autistischen Tochter Petra.
Petra fühlt sich zu Hause bei ihren Eltern wohl.

Zehn Jahre lebte Petra, die gerne Socken strickt und diese mit Enthusiasmus verkauft, in einem Wohnheim der Lebenshilfe. „Die Wochenenden verbrachte sie immer bei uns.“ Inzwischen wohnt Petra aber längst wieder ganz bei ihren Eltern. Seit mehr als 40 Jahren arbeitet sie in der Lebenshilfe-Werkstätte in Batschuns, ist dort Mädchen für alles. „Das ist ihre zweite Heimat.“ Kontinuität in allen Bereichen gibt der 55-Jährigen Sicherheit. „Jede Art von Veränderung ist für sie schlimm.“

Durch Petra war das Leben der Schallerts entbehrungsreich. „Wegen unseres Sorgenkindes konnten wir kein normales Leben führen. Aber man lernt anders zu leben, wird viel zufriedener. Ein Leben ohne Petra könnte ich mir nicht mehr vorstellen. Dann wäre das Leben nicht so lebenswert“, meint die Mutter zweier Töchter. Christa und Anton (77) fragen sich, was nach ihrem Tod mit „Petzi“ geschieht. „Dann schützt sie keiner mehr. Dann ist sie ausgeliefert“, befürchtet Anton.