“Ich wäre beinahe verblutet”

Menschen / 23.10.2024 • 12:39 Uhr
kevin
Kevin Siess verlor bei dem Unfall sein linkes Bein und seinen rechten Fuß.

Kevin Siess überlebte nur knapp einen Arbeitsunfall. Ein 90 Tonnen schwerer Wagon fuhr über seine Beine.

Fußach Kevin Siess (29) genießt sein Leben. Vor kurzem kam er von einer viermonatigen Reise zurück. Der Wahlfußacher war unter anderem im Oman, in Brasilien und auf Sansibar. Kevin möchte auch in Zukunft die Welt bereisen, wenn möglich mit Ramona, die er heuer im August kennengelernt hat. Die Welt ist für den frisch verliebten Mann zurzeit rosarot. „Es geht mir bestens“, freut er sich und ist dankbar, dass das Leben sich ihm derzeit von seiner schönsten Seite zeigt. Das war nicht immer so.

kevin
Vor dem Unfall war Kevin Siess ein begeisterter Wanderer.

Hinter dem jungen Mann liegt eine schwierige Zeit. Er musste sich nach einem Arbeitsunfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, ins Leben zurückkämpfen. Am 8. September 2022 geriet der ÖBB-Mitarbeiter am Güterbahnhof in Wolfurt unter einen fahrenden Zug. „Ein 90 Tonnen schwerer Wagon, der mit Stahlträgern beladen war, fuhr über meine Beine.“ Die Folgen waren verheerend: Sein linkes Bein und sein rechter Fuß wurden bei dem Unfall abgetrennt. „Ich habe sechs Liter Blut verloren und wäre beinahe verblutet.“ Die Ärzte, die ihn in künstlichen Tiefschlaf versetzten, kämpften einige Tage lang um sein Leben.

kevin
Der gehandicapte Mann reiste allein um die halbe Welt, unter anderem auch in den Oman.

Am sechsten Tag wachte er aus dem Tiefschlaf auf. „Nach und nach kam ich zu mir.“ Da Kevin beim Unfall bei Bewusstsein geblieben war, erinnerte er sich daran, dass ihm Glieder fehlten. „Vorsichtig schaute ich unter die Bettdecke. Da entfuhr mir ein Schimpfwort. Aber dann dachte ich mir: ,Es wird jetzt einiges anders, aber es wird gehen, Füße und Beine sind ersetzbar.‘“ Er ließ die Decke fallen. „Damit war für mich das Thema abgeschlossen.“

kevin
Kevin mit seiner Freundin Ramona. Die beiden lernten sich im August kennen.

Die Reha zog er konsequent und in schnellem Tempo durch. „Ich tat alles, um wieder hochzukommen.“ Kevin ist froh, dass er seinen Alltag allein bzw. ohne Hilfe von anderen meistern kann. „Ich bin nicht auf den Rollstuhl angewiesen. Wenn es mir zu blöd wird, stehe ich auf und gehe mit Krücken.“ Der 29-Jährige wird still. Er hängt seinen Gedanken nach. Nach einer Weile meint er dann: „Durch den Unfall hat sich bei mir nicht viel verändert.“ Das Einzige, was ihm leidtut, ist, dass er nicht mehr Mountainbiken und Wandern gehen kann.

kevin
Kevin Siess spielt mit Leidenschaft Para-Eishockey.

Kevin, der nach dem Unfall vom Verschub ins Büro wechselte, ist seit seiner Kindheit ein begeisterter Sportler. „Ich habe sechs Jahre Fußball gespielt, 13 Jahre Handball und acht Jahre den Kampfsport Thaiboxen ausgeübt. Vor dem Unfall hatte ich noch angefangen, Eishockey zu spielen.“

Der Sport spielt auch in seinem jetzigen Leben noch eine Rolle. „Ich spiele Rollstuhl-Basketball und Para-Eishockey. Im November fahren meine Kameraden vom Nationalteam und ich zur WM in Bangkok. Darauf freue ich mich schon.“ Allzu große Pläne schmiedet Kevin aber nicht mehr. Denn seit dem Unfall weiß er, dass sich das Leben von heute auf morgen verändern kann. Nur eines wird sich nie ändern, wie er betont, und das ist seine Einstellung zum Leben. „Ich werde bis zu meinem Lebensende aus jeder Situation das Beste machen“, ist er sich sicher.