Ein Leben in Selbstbestimmung trotz spastischer Behinderung  

Menschen / 11.12.2024 • 08:00 Uhr
brigitta
Brigitta Keckeis ist eine Optimistin. Sie betrachtet Herausforderungen als Chancen für Wachstum.

Brigitta Keckeis (68) meistert ihr Leben trotz einer Behinderung mit Bravour.  

Feldkirch Als Brigitta Keckeis zur Welt kam, stand es um Mutter und Tochter Spitz auf Knopf. Beide überlebten, aber eine Zangengeburt war medizinisch notwendig. „Durch die Geburtszange wurden Nerven in meinem Kopf beschädigt. Das hatte für mich eine halbseitige Körperlähmung zur Folge“, erläutert Brigitta (68), die seither mit einer spastischen Behinderung durchs Leben geht.

Brigitta lernte trotzdem gehen. Mit viereinhalb Jahren machte das Mädchen seine ersten Schritte. „Bis zum Alter von 45 Jahren konnte ich ohne Hilfsmittel gehen. Dann wurde mein Gang aber immer unsicherer. Ich nahm einen Stock zu Hilfe, später einen Rollator. Vor achteinhalb Jahren schaffte ich mir einen Rollstuhl an. Ich benötige ihn für Spaziergänge.“

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Seit achteinhalb Jahren ist der Rollstuhl ihr Begleiter.

Brigitta war ein geistig hellwaches Kind. „Meine Eltern wussten, dass ich in einer Sonderschule unterfordert gewesen wäre. Sie kämpften mit Erfolg dafür, dass ich die Regelschule besuchen kann.“ Das körperlich beeinträchtigte Mädchen war eine gute Schülerin. An die Schule hat Brigitta aber nicht nur gute Erinnerungen. „Auf dem Schulweg passten mich Kinder ab und schlugen mich.“ Nach der Polytechnischen Schule besuchte Brigitta in Wien eine Handelsschule für Menschen mit einer körperlichen Behinderung. „Mir war eine gute Ausbildung wichtig. Denn ich wollte mich selbst durchbringen und autonom leben.“

Mit 47 Jahren in Rente gegangen

Die Arbeitssuche gestaltete sich schwierig. „Einmal musste ich mir anhören: ,Für eine Handbehinderte haben wir keine Verwendung.‘“ Schließlich fand Brigitta bei der Lebenshilfe in Batschuns eine Anstellung im Büro. „18 Jahre lang machte ich Abrechnungen.“ Danach wechselte sie zur heutigen Kathi-Lampert-Schule. „Dort war ich in der Bibliothek und im Schulsekretariat tätig.“ Die abwechslungsreiche Arbeit gefiel ihr. „Leider musste ich aufgrund starker Rückenschmerzen schon mit 47 Jahren in Rente gehen. Das war schmerzlich für mich.“ Danach fand Brigitta, die auch eine Ausbildung zur Seelsorgerin, Sterbebegleiterin und Familien- und Gruppenarbeiterin absolviert hat, in anderen (teils ehrenamtlichen) Tätigkeiten ihre Erfüllung. „15 Jahre war ich seelsorgerisch tätig.“ Unter anderem engagierte sie sich in der Kranken- und Sterbebegleitung in den Krankenhäusern Feldkirch und Rankweil. Auch in Winterthur arbeitete Brigitta als Seelsorgerin. Außerdem setzte sie sich für den Feldkircher Pfarrgemeinderat und den Österreichischen Zivilinvalidenverband (ÖZIV) jahrelang eifrig ein. Für ihr ehrenamtliches Engagement wurde sie im Herbst vom Land Vorarlberg geehrt.

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Brigitta Keckeis (im Bild mit Landeshauptmann Markus Wallner) wurde heuer für ihr ehrenamtliches Engagement vom Land geehrt.

Brigitta, die mit 20 Jahren den Führerschein machte, ist stolz auf sich: „Ich meistere mein Leben und lebe ganz autonom.“ Mit 29 Jahren zog Brigitta aus dem Elternhaus aus. Ihre Mutter tat sich schwer, sie loszulassen. „Dabei hatte sie mich zur Selbstständigkeit erzogen.“ Die Loslösung von der Mutter sei ihre größte Herausforderung gewesen – neben einer Tumor-Erkrankung, die man nicht gleich entdeckte. „Ich hatte einen gutartigen Tumor im Wirbelkanal. Er bereitete mir furchtbare Schmerzen. Diese verschwanden erst nach einer Operation am Rücken.“

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Brigitta Keckeis ist Vizeobfrau des Vereins “Aufblüherei – Begegnungsraum Garten”. Ihr ist es wichtig, dass beim “zemma gärtlara“ Erwachsene und Kinder in Kontakt mit Menschen mit einer Behinderung kommen.

Egal was das Leben an sie herantrug, Brigitta nahm es an. „Das gehörte zu meinem Reifungsprozess. Ich bin an den verschiedenen Herausforderungen gewachsen. Sie brachten mich weiter.“ Für die Feldkircherin ist das Glas halbvoll, nicht halbleer. „Schon als kleines Kind war ich ein Optimist. Nach dem Aufwachen im Gitterbett bin ich aufgestanden und habe heraus gelächelt.“ Das Leben schenkte Brigitta viele Freuden und viele bereichernde Bekanntschaften. „Menschen traten in mein Leben, die mir etwas zutrauten und mich förderten.“ Nur mit der Liebe wollte es nicht funktionieren. „Als meine beste Freundin heiratete, beneidete ich sie. Es tat mir weh, dass ich keinen Partner hatte.“ Brigitta ist heute in einen großen Freundeskreis eingebettet. Sie sorgt gut für sich. Denn: „Mein Ziel ist es, alt zu werden.“ Jeder neue Tag ist für sie ein Geschenk. „Ich versuche nichts aufzuschieben und lebe jeden Tag so, als ob es mein letzter wäre.“ Hätten die Ärzte recht behalten, wäre die 68-Jährige schon längst tot. „Sie gaben mir eine Lebenserwartung von höchstens 50 Jahren.“