“Es gibt mir so viel, wenn ich bei meinem Kind sein kann”

Menschen / 19.02.2025 • 10:54 Uhr
regina
Geduldig gibt Annemarie Kaufmann ihrer demenzkranken Tochter Regina das Essen ein. kum

Annemarie Kaufmann (87) ist Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom. 2023 musste sie Regina ins Pflegeheim geben, weil diese an Demenz erkrankt war.

Bludenz Annemarie und Herbert Kaufmann wurden im Jahr 1966 zum zweiten Mal Eltern. Nach Sohn Clemens, der im Jahr 1961 geboren wurde, erblickte Tochter Regina in Bludenz das Licht der Welt. Das Kind kam mit dem Down-Syndrom zur Welt. Annemarie (87) erinnert sich: „Für mich und meinen Mann war es ein Riesenschock. Wir fühlten uns dieser Aufgabe nicht gewachsen. Damals gab es noch keine Anlaufstellen.“ Hinzu kam, dass die Prognose des Kinderarztes alles andere als erfreulich war: „Er sagte zu uns, dass Regina nie gehen oder sprechen wird können.“

Regina für Martina Kuster
Regina mit ihrem Vater Herbert. Ihn liebte sie heiß. Er verstarb 1994.

Annemarie war so verzweifelt, dass sie am liebsten aus dem Fenster gesprungen wäre. „Dann habe ich mich aber zusammengerissen.“ Trotzdem: „Das erste Jahr haben mein Mann und ich in den Kinderwagen hinein geschluchzt.“

Wider Erwarten entwickelte sich Regina aber sehr gut. „Sie lernte schnell gehen und sprechen.“ Nach dem Kindergarten besuchte das gehandicapte Mädchen die Sonderschule. „Am Ende der Schulzeit meinte ihre Lehrerin, dass Regina durchaus einer Arbeit nachgehen könne.“ Die junge Frau fand im Altersheim Bludenz eine Beschäftigung. „Man setzte sie für kleinere Hilfstätigkeiten ein.“ 21 Jahre lang war Regina dort tätig, dann wechselte sie zur Lebenshilfe. „Meine Tochter arbeitete mehr als zehn Jahre beim Wasch- und Bügelservice.“

Regina für Martina Kuster
Regina wurde auch mit Hilfe von Pferden therapeutisch behandelt.

Der Tod ihres Vaters im Jahr 1994 traf Regina schwer. „Bei der Beerdigung warf sie sich schluchzend aufs Grab.“ Laut Annemarie liebte Regina ihren Vater heiß: „Herbert war ein guter Papa. Er hat mit Regina gesungen und Späße gemacht.“ Nach dem Tod des Vaters bzw. Ehemannes unternahm Annemarie mit ihrer Tochter jedes Jahr eine große Reise. „Das hat uns einander noch nähergebracht.“

Regina für Martina Kuster
Annemarie und Herbert Kaufmann mit ihrer Tochter Regina.

Vor ein paar Jahren begann sich Reginas gesundheitlicher Zustand plötzlich zu verschlechtern. „Sie erkrankte an Demenz. Auf einmal fand sie nicht mehr nach Hause. Da wusste ich, dass ich sie keine Minute mehr alleinlassen kann.“ Als Annemarie eines Nachts starke Schmerzen in der Brust bekam, verfiel sie in Panik. Die Mutter fragte sich, wer sich um Regina kümmert, wenn ihr etwas zustößt. In dieser schrecklichen Nacht wurde Annemarie klar, „dass ich Regina in Obhut geben muss, an einen Ort, wo sie gut aufgehoben und betreut ist“. Am nächsten Tag kontaktierte sie das Bludenzer Sozialzentrum Laurentius-Park und beantragte für ihre demenzkranke Tochter einen Platz im Heim.

Regina für Martina Kuster
Mehr als zehn Jahre arbeitete Regina beim Wasch- und Bügelservice der Lebenshilfe.

Im Oktober 2023 wurde Regina im Pflegeheim aufgenommen. „Die Umstellung war sehr schwierig – für Regina, für mich und für das Personal. Anfangs hat sie immer nach mir geschrien.“ Aber das Personal fand schnell Zugang zu ihr. „Meine Tochter wird einfühlsam betreut.“ Inzwischen kann Regina aufgrund der fortschreitenden Demenz nicht mehr gehen. „Sie liegt nur noch da und weint hie und da.“

Ihre Mama, die praktischerweise einen Stock höher in einer betreuten Wohnung lebt, kommt sie jeden Tag besuchen. „Wenn ich komme, lacht Regina übers ganze Gesicht.“ Manchmal holt die 87-Jährige ihre Tochter auch zu sich herauf. „Dann rede ich mit ihr und streichle sie. Es gibt mir so viel, wenn ich bei meinem Kind sein kann. Regina und ich hängen sehr aneinander. Sie ist ein Teil von mir“, zeigt Annemarie auf, dass ihr ihre Tochter enorm viel bedeutet.  

Regina für Martina Kuster
Regina hat immer gerne gemalt und gezeichnet.