Musik als Atem der Stille

Die deutsche A-Capella-Formation Sjaella sang am Montagabend im Feldkircher Dom.
Feldkirch Es war ein Montagabend, der den Raum des Feldkircher Doms mit jener stillen Erwartung füllte, die nur dann spürbar wird, wenn eine Musik bevorsteht, die nicht bloß erklingt, sondern den Ort verwandelt. Das Leipziger A-cappella-Ensemble Sjaella betrat den Altarraum nicht wie eine Formation, die ihr Können vorführen will, sondern wie ein atmendes Wesen aus sechs Stimmen, die sich zusammenfanden, um den Dom in Schwingung zu versetzen. Bereits der Name, ein Kunstwort, abgeleitet vom schwedischen „själ“ – Seele –, ließ ahnen, dass es hier um mehr gehen sollte als um bloße Perfektion. Seit ihrer Gründung im Jahr 2005 haben die Sängerinnen eine gemeinsame Klangsprache entwickelt, die aus jahrelanger Vertrautheit, disziplinierter Arbeit und einem feinen Gespür für Balance gewachsen ist. Dass diese Formation einst als Kinderchor unter dem Namen „Chickpeas“ begann und inzwischen zu einem international gefragten Ensemble herangereift ist, macht ihre Geschichte zu einem kleinen Wunder. Nun standen sie in Feldkirch, getragen von der jahrhundertealten Akustik des Doms, mit einem Programm, das alte und neue Klänge ineinanderfließen ließ.

Schon der Auftakt mit Enrico Correggias O Christe, flos convállium spannte einen Bogen von meditativer Innigkeit zur lichten Klarheit, die sich im folgenden Northern Lights von Ola Gjeilo entfaltete. Hier zeigte sich die Fähigkeit des Ensembles, aus einem fast körperlosen Pianissimo heraus eine Helligkeit zu entwickeln, die den Raum zum Leuchten brachte, als wäre der Dom selbst ein Resonanzkörper aus Glas. In Arvo Pärts Peace upon you, Jerusalem wurde diese Transparenz noch vertieft: Die Stimmen verschränkten sich in jener typischen Mischung aus Strenge und Wärme, die Pärts Musik trägt, und ließen den Zuhörer in eine Stille hineinhorchen, die mehr Klang war als Schweigen. Einen markanten Kontrast setzte Volker Bräutigams Psalmvertonung, die in ihrer rhythmischen Strenge und drängenden Energie eine fast körperliche Wucht entfaltete. Hier trat das technische Können der Sängerinnen hervor, ihre Fähigkeit, scharfe Akzente zu setzen und zugleich den Ensembleklang nicht zu verlieren. Auf diese Weise entstand eine Spannung, die sich in Gregor Meyers Da pacem Domine wieder löste, ein Stück von jener milden Strahlkraft, die wie ein musikalisches Gebet wirkt. In der Mitte des Abends lag David Langs Alleluja Amen, ein Werk, das durch seine minimalistischen Strukturen fast tranceartig wirkte. Sjaella verstand es, die Wiederholung nicht mechanisch, sondern atmend und organisch klingen zu lassen – wie ein Puls, der die Zeit dehnte. Auch Meredis Crystallized fügte sich nahtlos ein: eine kristalline, fragile Miniatur, die den Stimmen Raum zur Entfaltung gab, ohne ornamentale Überfülle.

Ein besonderer Höhepunkt war der Purcell-Block, eine Abfolge aus vier Stücken, die unter dem Titel Night einen barocken Kosmos aus Geheimnis, Dunkelheit und Anmut entfalteten. Hier bewies Sjaella, dass historische Musik und moderne A-cappella-Ästhetik keine Gegensätze sein müssen. Die Linien waren schlank, die Verzierungen zurückgenommen, und doch glühte in jeder Phrase eine innere Intensität. Weiter ging es mit Ēriks Ešenvalds’ Stars, einem Stück, das durch seine schwebenden Cluster und die gläserne Transparenz der Stimmen tatsächlich das Gefühl weckte, unter einem unendlichen Nachthimmel zu stehen. Fredrik Sixtens “Peace in Our Time” und die Eigenkomposition „Vacuum“ ließ das Konzert in einer leisen, tröstlichen Geste verklingen – als Botschaft, die über den Abend hinausreichen wollte.
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Dass Sjaella ein Ensemble von internationaler Klasse ist, zeigte sich nicht nur in der makellosen Intonation oder im homogenen Gesamtklang, sondern in der Haltung, mit der diese sechs jungen Frauen auftraten: nie effekthascherisch, nie pathetisch, sondern mit einer stillen Selbstverständlichkeit, die ihre Musik umso glaubwürdiger machte. Das Publikum im Feldkircher Dom spürte es, und die Stille nach den letzten Klängen war beredt genug, bevor sich Applaus und Dankbarkeit entluden. Ein Abend, der zeigte, dass A-cappella-Gesang, wenn er so feinfühlig und konzentriert dargeboten wird, mehr ist als eine Kunstform – er ist eine Erfahrung von Gemeinschaft im Klang, eine Erinnerung daran, dass Musik dort am stärksten wirkt, wo sie am einfachsten ist: sechs Stimmen, ein Raum, ein Atem.