Für Geld kriegt man hier fast alles

Motor / 23.09.2016 • 15:14 Uhr
Handarbeit: In der Lederabteilung sind 500 Mitarbeiter beschäftigt.
Handarbeit: In der Lederabteilung sind 500 Mitarbeiter beschäftigt.

25 Kilogramm Lack, 17 Bullenfelle und feinstes Gehölz: Es ist eben ein Bentley.

bentley. Crewe ist eine kleine Industriestadt mit knapp 70.000 Einwohnern ein paar Meilen südwestlich von Manchester. Viel Landschaft,
schmale Straßen, einladende Dorfpubs: Es ist die wohl einzige Gegend, in der sich keiner umdreht, wenn ein Bentley vorbeifährt. Die imposanten Automobile mit ihrer langen Tradition prägen das Straßenbild. Sie sind ein Teil von Crewe. Hier laufen die Luxus-Karossen vom Band.

Bentley hat Heritage. Nigel Lofkin, ein Mittfünfziger im feinen Zwirn, empfängt Gäste im kleinen Werksmuseum. Superlative gehen ihm über die Lippen, wie Einheimischen das Ale im Pub. Bei den historischen Motorsport-
erfolgen der Bentley Boys, den prestigeträchtigen Limousinen der Marke, bei Top-Speed und großen Motoren verliert Nigel jede Zurückhaltung. „Die guten alten Zeiten“ machen ihn stolz. Die Gegenwart auch. Bentley beschäftigt 4000 Mitarbeiter, neue Fabrikhallen sind im Entstehen. Die mit der Übernahme von Volkswagen Ende der 90er-Jahre befürchtete Automatisierung im Werk ist ausgeblieben. Bentley ist Handarbeit geblieben – bis heute.

Tradition und Fortschritt

Nigel Lofkin arbeitet seit 1980 bei Bentley. In der Lederabteilung hat seine Karriere begonnen. Heute schmückt feinstes Leder seine Schuhe zum gut sitzenden Anzug. Er ist ein Mann mit Geschmack. Und er ist Traditionalist. Vor einem Bentley 8 Litre aus dem Jahr 1930 gerät der „Custumer Host“ ins Schwärmen. Und das ausgerechnet am Tag, an dem Bentley den ersten Dieselmotor in einem seiner Modelle angekündigt hat. „Und irgendwann kommt wohl ein elektrischer Bentley?“, fragt er selbst und antwortet. Er liebe den Sound der großen Motoren. Das täten die Kunden ja auch. Und die sind nicht mehr nur alte Männer. „Am Montag ein Rockstar, am Dienstag ein Crystal-Meth-Dealer, am Mittwoch ein Mitglied der königlichen Familie“, erzählt Lofkin, nicht ohne auf den typisch britischen Humor zu verzichten, über die Klientel mit dem notwendigen Kleingeld – redlich verdient, ergaunert oder geerbt. Um Geld kriegt man hier fast alles. 115 Außenfarben sind Standard. Vor drei Jahren hat Bentley mit Mulliner den eigenen Veredler wiederbelebt. Jamie Smith (25) berät Kunden, die niemals von der Stange kaufen. Einzelstücke und Kleinstserien haben großes Potenzial, ist man bei Bentley überzeugt. Bei Smith ist der Kunde wahrlich König. Alles ist möglich: die Autofarbe passend zum Nagellack, das Familienlogo ins feine Leder gestickt oder ein in den Kofferraum integriertes Fliegen-Fischer-Set. Das gibt es wirklich. Was nicht geht? Das Bentley-Logo bleibt werksseitig unangetastet – für kein Geld der Welt.

So viel Tradition muss sein. Das freut einen, wie Nigel Lofkin, der die Besucher durch die Werkshalle führt. „28 Bentayga, fünf Mulsanne, 30 Exemplare der Continental-Baureihe täglich“, zählt er auf. Der Produktionsprozess umfasst je nach Modell bis zu 62 Stationen. „Nur zwei Roboter“, sagt Lofkin stolz. „Einer zum Verkleben der Gummidichtung an der Windschutzscheibe.“ Für den Bau des Flaggschiffs, den Mulsanne, brauchen sie in Crewe eine Woche, 25 Kilogramm Lack und 17 Bullenhäute. Nigel Lofkin ist zurück in seiner Lederabteilung. 500 Leute arbeiten heute hier. Maschinen unterstützen sie, das Auge der Experten ist noch immer unersetzbar. „Kein Roboter kann das“, sagt er, einmal mehr voller Stolz.

Tagesproduktion: Fünf Bentley Mulsanne, 28 Bentayga, 30 Fahrzeuge der Continental-Baureihe.
Tagesproduktion: Fünf Bentley Mulsanne, 28 Bentayga, 30 Fahrzeuge der Continental-Baureihe.
Nigel Lofkin (r.) erklärt VN-Motorchef Michael Gasser den Produktionsprozess. Für das Mulsanne-Interieur braucht es die Haut von 17 Bullen.
Nigel Lofkin (r.) erklärt VN-Motorchef Michael Gasser den Produktionsprozess. Für das Mulsanne-Interieur braucht es die Haut von 17 Bullen.
Testfahrt: Aus dem Werk direkt auf die schmalen Straßen bei Crewe.
Testfahrt: Aus dem Werk direkt auf die schmalen Straßen bei Crewe.
Kein Roboter kann das Experten-Auge ersetzen. Fotos: Simon Clay
Kein Roboter kann das Experten-Auge ersetzen. Fotos: Simon Clay