Leben mit Mindestsicherung: “Plötzlich war der Kühlschrank leer”

10.04.2019 • 08:00 Uhr
Ende des Monats wurde es für Laura R. immer schwierig. vol.at/Rauch
Ende des Monats wurde es für Laura R. immer schwierig. vol.at/Rauch

Verleitet die Sozialhilfe dazu, nicht zu arbeiten? Eine Mutter von zwei Kindern erzählt.


Schwarzach Die Politik steht vor dem Problem, allgemeingültige Gesetze für Einzelfälle zu finden. Derzeit wird zum Beispiel intensiv über die Mindestsicherung debattiert. Die Bundesregierung möchte sie wieder in Sozialhilfe umbenennen, manches wird gekürzt und manches erhöht. Kritiker und Befürworter werfen sich Zahlen an den Kopf. Große Familien würden derzeit mehr Geld bekommen als Facharbeiter, argumentieren die Einen. Ab dem dritten Kind gebe es nur noch 43 Euro pro Kind, das sei zu wenig, monieren die Anderen. Die Auswirkungen lassen sich aber schwer verallgemeinern. Jeder Fall ist anders.

Zum Beispiel jener von Frau J. Sie lebt im Unterland, drei Kinder (10, 5, 2), 15 Jahre lang verheiratet, nach der Scheidung auf Mindestsicherung angewiesen. Oder Frau I.: alleinerziehend, zweijähriges Kind, nach der Trennung ein halbes Jahr in der Mindestsicherung. Kürzlich hat sie wieder eine Arbeit gefunden. Oder der Fall von Laura R. (Name von der Redaktion geändert). Sie ist 22 Jahre alt, stammt aus dem Unterland, hat zwei Kinder (6 und 2) und war lange auf die Unterstützung der Mindestsicherung angewiesen. Kürzlich schaffte sie den Sprung aus der Sozialhilfespirale. “Ich kann mir endlich einmal einen Friseur leisten”, erzählt sie. Es war ein langer Kampf.

Geld ausleihen

Die Mindestsicherung sei ein stetiger Begleiter gewesen, sagt Laura R. Ihr Freund arbeitet mal mehr, mal weniger, manchmal erhält er Zulagen, dann wieder gar nichts. “Es war mühselig”, sagt sie. Jedes Mal neue Zettel ausfüllen, alle drei Monate Kontoauszüge holen, sich finanziell offenbaren. “Es ist ein komisches Gefühl, man gibt das komplette Privatleben preis und muss sich rechtfertigen.” Abwarten, aufs Konto blicken. “Plötzlich war der Kühlschrank leer”, fährt Laura R. fort. Kein Essen für sich, Freund und Kinder. “Ich musste bei meiner Mutter nach Geld fragen.”

Die 22-Jährige zieht einen Berechnungsbogen aus der Tasche. 482,1 Euro pro Erwachsener, 187,32 pro Kind. 800 Euro kalt für die Wohnung, der Wohnkostendeckel liegt bei 712 Euro. In diesem Monat ist der Vater auf Arbeitslosengeld angewiesen: 625 Euro. Dazu kommt der Familienzuschuss von 240 Euro. Beides wird gegengerechnet, am Ende erhält die Familie 600 Euro Mindestsicherung. Die Familienbeihilfe von je 122 Euro ist darin nicht berücksichtigt. In der Verwaltung nennt man Familie R. “Aufstocker”. Laura R. berichtet: “Mitte Monat waren oft noch 100 Euro auf dem Konto. Die letzte Woche war immer ganz schlimm.” Die Politik diskutiert hingegen: Wie viel Geld braucht ein Mensch zum Leben? Wie wenig muss es sein, damit Sozialhilfeempfänger arbeiten?

Nicht vor das Höchstgericht

FPÖ-Landesparteivorsitzender Christof Bitschi argumentiert: “Es ist entscheidend, dass jemand, der arbeiten geht, mehr bekommt, als jemand, der nicht arbeiten geht.” Michael Diettrich von der Vorarlberger Armutskonferenz kontert: „Es ist richtig, dass auch manch Erwerbstätiger nicht viel mehr verdient. Aber das ist der eigentliche Skandal, den man nicht dadurch beseitigt, dass man die Sozialhilfe kürzt.” Vorarlbergs Gewerkschaftschef Norbert Loacker poltert: “Es kann nicht sein, dass eine Familie für das dritte Kind nurmehr 1,43 Euro pro Tag bekommt.” Die Landesregierung erklärt, die neue Sozialhilfe nicht vor dem Verfassungsgericht zu bekämpfen. Für Landeshauptmann Markus Wallner geht sie in die richtige Richtung. SPÖ-Klubobmann Michael Ritsch ist überzeugt: “Wenn aber das soziale Sicherungsnetz aufgeschnitten wird, sind die Kinder die ersten, die in diesem Netz keinen Halt mehr finden und hinausgeworfen werden.”

Laura R. hat gelernt, sparsam zu leben. Sie plant akribisch, ein Wocheneinkauf für die Familie kostet 50 Euro. Kinderkleidung kommt vom Flohmarkt, Laura R. kann sich selbst kaum etwas leisten. Sozialhilfe braucht sie nicht mehr: Ihr Freund hat eine Lehre angefangen, sie geht putzen. Die Sparsamkeit hat sie sich beibehalten. Aber: “Es ist schon fein, wenn man eigenes Geld hat.”