Immer noch gefangen in Rollenbildern

07.03.2024 • 15:07 Uhr
Angela Alicke
Angela Alicke setzt sich für die Belange von Frauen ein. Heike Schuh

Angela Alicke (42) vom Frauennetzwerk Vorarlberg über Probleme der Gleichstellung

Fraxern Das vor 24 Jahren gegründete Frauennetzwerk Vorarlberg bemüht sich um Sensibilisierung und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen. Es ist jedoch eine Sisyphusarbeit, wie auch Landessprecherin Angela Alicke einräumen muss,

Frau Alicke, wir reden eigentlich jedes Jahr über die gleiche Problematik, oder wie sehen Sie das?

Alicke Da haben Sie vollkommen recht. Gleichstellungsarbeit erfordert einen langen Atem und geht nur sehr langsam voran. Um etwas bewirken zu können, braucht es Mut, Stärke und Durchhaltevermögen. Das Einfordern von Gleichstellung kann sehr zäh sein.

Warum ist das so?

Alicke Weil Sie jeden einzelnen von uns betrifft und jeder (s)einen Teil dazu beitragen müsste. Das stößt bei vielen auf taube Ohren, denn manche wollen ihr Leben weiterhin in diesen vorgesetzten, gefestigten patriarchischen Strukturen führen. Frauen und Männer sind zum Teil auch so in ihren Rollenbildern gefangen, dass sie das gar nicht in Frage stellen. Werden bei einem Mann eine Vollzeitstelle und die Versorgung der Familie vorausgesetzt, ist es bei der Frau die Betreuung der Kinder, die damit verbundene Teilzeitarbeit, der perfekte Haushalt, das Ehrenamt und die Pflege. Sollte ein Mann sich dennoch entscheiden, mehr daheim zu sein, kämpft er oft gegen Vorurteile an. Hier muss unbedingt ein Umdenken stattfinden, bei dem wir alle gefordert sind.

Es wird also mit unterschiedlichem Maß gemessen?

Alicke Die Rollenverteilung wird meines Erachtens auf eine ungerechte Waagschale gelegt und das Erfüllen der Aufgaben mit unterschiedlichen Augen betrachtet. Hütet ein Mann die Kinder, ist das etwas Besonderes. Bei einer Frau wird das sogar vorausgesetzt. All das für sich selbst einzufordern braucht oft viel Kraft. Da fängt es schon an. Solange man nicht aufmuckt und immer funktioniert. werden typische Rollenbilder nicht geändert. Es obliegt jedem von uns, für eine gerechtere Rollenverteilung den Mund aufzumachen. 

Wo sehen Sie die größten Baustellen?

Alicke Alles, was wir tun, hat eine Auswirkung. Wenn wir jahrelang einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, wird zum Beispiel unsere Pension einmal düster aussehen. Dessen muss sich jede Frau bewusst sein und frühzeitig dagegen steuern. Altersarmut ist ein allgegenwärtiges weibliches Thema. Der Equal Pay Day ist eine vereinfachte Darstellung des Fakts, dass Frauen deutlich weniger verdienen als Männer. Ab diesem Tag arbeiten Frauen – statistisch gesehen – gratis. Vorarlberg gilt hier als absolutes Schlusslicht. Frauen haben im Österreichvergleich das geringste, Männer das höchste Einkommen!

Der Anteil von Frauen in politischen Funktionen ist eher rückläufig…woran liegt das?

Alicke Frauen sind privat schon sehr eingespannt. Kommt dann noch ein politisches Engagement hinzu, kann man an seine Grenzen stoßen. Zudem werden Frauen in politischen Ämtern oft anders gemessen. Sie müssen ihren „Mann“ stehen, sind oft in der Minderheit. Ist der Rock zu kurz, der Blick zu bös…. Im Rampenlicht zu stehen, da braucht Frau eine dicke Haut. Das eigene Potential wahrzunehmen, sich aus dem Schatten zu stellen und es sich zuzutrauen, politisch aktiv zu werden erfordert Mut. Das Leben ist politisch, und hier braucht es die Sichtweise von Frau und Mann. Ich würde mir wünschen, dass sich viele Frauen trauen, sich bei den kommenden Gemeindewahlen aufzustellen.

In welcher Form kann das Frauennetzwerk motivieren?

Alicke Bei den Gemeindewahlen 2020 war es uns ein Anliegen, interessierte Frauen dabei zu unterstützen, den Schritt in die Politik zu wagen. Bei Stammtischen berichteten erfahrene Gemeindevertreterinnen von ihrer Arbeit. Gewählte Mandatarinnen wurden durch weitere Angebote in ihrer neuen Funktion unterstützt. Wir bieten Vorträge und Webinare zu Gleichstellungsthemen an. Die größte Stärkung und Motivation für mich ist jedoch, die regelmäßigen Sitzungen und der gemeinsame Austausch. Wir motivieren und stärken einander in unserem Sein und Tun.  

Was muss/kann/soll die Gesellschaft zur Gleichstellung beitragen?

Alicke Es ist Zeit für das Aufbrechen von alten Strukturen und Rollenbildern. Die Gesellschaft entwickelt sich stetig weiter. Es gibt keine klassischen Familienkonstellationen mehr, und das ist auch gut so. Diese Veränderung darf vor der Gleichstellung nicht haltmachen. Wir dürfen uns nicht auf den Lorbeeren und Errungenschaften unserer emanzipierten Vorgängerinnen ausruhen. Jeder kann in seinem eigenen Umfeld viel bewirken und so für eine gerechtere Aufteilung der Familien- und Sorgearbeit sorgen.