Renaturierung: “Hier wird Rhesi gefeiert, in Wien dagegen gearbeitet”

04.06.2024 • 11:30 Uhr
Interview mit dem EU-Abgeordneten Tom Waitz
Thomas Waitz sieht bei den Tiertransporten Verbesserungen, hofft aber auf weitere Maßnahmen. VN/STEURER

Landeshauptmann Wallner verwickle sich in Widersprüche, sagt der Grüne EU-Politiker Thomas Waitz. Bei Tiertransporten sieht er Verbesserungen. Vilimsky würde nicht arbeiten, sagt Waitz.

Schwarzach “Nur Lederhosen anziehen, reicht nicht, um den ländlichen Raum zu vertreten”, sagt der Grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz über FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky. Dieser würde im EU-Parlament nicht arbeiten. “Er ist nur dort, wo die Kamera ist.” Dabei gehe auf EU-Ebene sehr wohl was vorwärts, etwa bei den Tiertransporten: Bedingungen hätten sich verbessert, die Kontrollen wurden verstärkt. Geplant sei unter anderem, dass etwa Vorarlberger Kälber künftig maximal neun Stunden transportiert werden dürften. Was das Renaturierungsgesetz anbelangt, hofft Waitz noch immer auf ein Einlenken der Bundesländer. Sie blockieren derzeit das Vorhaben. Seltsam sei, dass die Vorarlberger ÖVP und die ÖVP-Bundesminister gleichzeitig das Hochwasserschutzprojekt Rhesi abfeierten. Dieses sei ja eine gute Lösung zur Renaturierung des Rheins.

Wir hören viel von den Vorteilen der EU. Was ist derzeit nicht so gut?

Waitz Einzelinteressen haben zu viel Einfluss. Das Unternehmenslobbying geht zu weit. Der Rat agiert sehr intransparent. Die Ministerinnen und Minister sagen zu Hause oft etwas anderes, als sie in Brüssel bestimmen. Die Entscheidungsprozesse sind sehr langwierig, wenngleich der Kompromiss auch das Wesen der EU ist. Einzelne nationale Interessen blockieren oft alles. Manche europäischen Gesetze werden nicht durchgesetzt. Das ist peinlich, wenn ich mir etwa die Tiertransporte ansehe.

Reichen die europäischen Gesetze zu den Tiertransporten bereits aus?

Waitz Nein. Die bestehende Gesetzgebung ist lückenhaft. Es gibt nun einen Vorschlag der Kommission und den gilt es zu verhandeln.

2020 kritisierten Sie, dass österreichische Rinder und Schweine über 60 Stunden ohne Ruhepause um die halbe Welt gekarrt werden. Ist das heute noch möglich?

Waitz Zu diesem Zeitpunkt hat Österreich Tiere quer durch Russland nach Usbekistan, Kasachstan oder Kirgistan geliefert. Ob es Pausen gab, war zweifelhaft. Nun ist aufgrund Tiertransporte-Untersuchungsausschusses im EU-Parlament einiges verbessert worden. Man hat angefangen, hinzuschauen. Es gibt auch wesentlich mehr Kontrolle.

Renaturierung: "Hier wird Rhesi gefeiert, in Wien dagegen gearbeitet"
Tierschützer machen schon lange auf die schlechten Bedingungen bei den Tiertransporten aufmerksam. VN

Die Schiffstransporte sind aber weiterhin sehr belastend für die Tiere.

Waitz Ja. Viele Kälber werden oft nach Spanien oder Italien gebracht und kommen dann auf die Schiffe. Wenn sie diese betreten, beginnt eine absolute, gesetzliche Grauzone. Hier gelten dann auf einmal keine Transport- und Ruhezeiten mehr. Die Schifffahrt ist aber wesentlich belastender als die Lkw-Transporte. Leider bringt der neue Vorschlag der Kommission hier nur sehr geringe Verbesserung. Interessant ist der Vorschlag der Kommission, Langstreckentransporte auf maximal neun Stunden zu begrenzen.

Vorarlberger Kälber dürften maximal neun Stunden gefahren werden?

Waitz Ja. Danach müssten sie ausgeladen werden und 24 Stunden Pause machen, damit sie wieder neun Stunden fahren können. Das ist für Unternehmen nicht mehr besonders lukrativ. Kälber müssten laut Kommissionsvorschlag auch mindestens fünf Wochen alt sein, bevor sie transportiert werden. Bis vor kurzem wurden zwei Wochen, jetzt sind wir bei vier.

Deutschland hat die Transporte nach Algerien untersagt. Wäre das auch ein Weg für Österreich?

Waitz Ja, ich setze mich dafür ein, dass es eine Blacklist und eine Whitelist gibt, dass wir nur mehr in Länder exportieren, die zumindest annähernd europäische Tierwohlstandards einhalten.

Wie kann man Tiertransporte einschränken?

Waitz Mein Zugang ist, dass wir eine Herkunftskennzeichnung auch im Gastronomiebetrieb brauchen. Wir importieren immer noch knapp 60 Prozent des Kalbfleischbedarfs. Gleichzeitig schickt man unsere Kälber nach Spanien.

Ist das österreichische Kalb in Österreich so viel teurer?

Waitz Es sind etwa 30 Prozent Preisunterschied. Wenn man sieht, wie die niederländischen Kälber gemästet werden, wundert das einen auch nicht. Das hat nichts mehr mit Landwirtschaft zu tun.

Interview mit dem EU-Abgeordneten Tom Waitz
Das Renatuierungsgesetz werde keinem Bauern schaden, sagt Thomas Waitz. VN/Steurer

Der EU-Ministerrat stimmt am 17. Juni über das Renaturierungsgesetz ab. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler muss es aus heutiger Sicht ablehnen, da die Landeshauptleute einstimmig dagegen sind. Wien und Kärnten könnten nun die Seite wechseln. Wie ginge es weiter?

Waitz Solange es eine einheitliche Stellungnahme der Bundesländer gibt, ist Leonore Gewessler verfassungsrechtlich daran gebunden und kann nicht zustimmen. Sobald die Länder das Renaturierungsgesetz nicht einstimmig blockieren, liegt die Verantwortung klar beim Ressort von Ministerin Gewessler.

Ist noch Zeit für eine Kehrtwende?

Waitz Absolut. Wien und Kärnten müssten nur offiziell niederschreiben, dass sie die einheitliche Bundesländerstellungnahme nicht mehr unterstützen.

Die FPÖ spricht beim Renaturierungsgesetz von einem Vernichtungsfeldzug gegen die eigenen Bauern. Können Sie da die Kritik verstehen?

Waitz Nein, absolut nicht. Das ist reiner Populismus. Es wird auch behauptet, Landwirte sollen für Renaturierung enteignet werden. Das ist ein absoluter Unsinn. Wenn wir Flüssen wieder Platz geben wollen, damit unsere Dörfer, Städte, Produktionsanlagen und Gewerbe nicht überschwemmt werden, brauchen wir Überschwemmungsgebiete, das heißt Land. Das muss selbstverständlich von Landwirten abgelöst werden.

Rhesi-Staatsvertragsunterzeichnung, Brücke Wiesenrain in Lustenau, Schweiz Österreich
Landeshauptmann Markus Wallner (l.) und Finanzminister Magnus Brunner feierten am 17. Mai die Unterzeichnung des Staatsvertrags zum Hochwasserschutzprojekt Rhesi. VN/Rhomberg

In Vorarlberg wurde kürzlich der Staatsvertrag zum am Hochwasserschutzprojekt Rhesi unterzeichnet, mit Landeshauptmann, Landwirtschaftsminister, Finanzminister. Sehen Sie hier einen Kontext zum Renaturierungsgesetz?

Waitz Einen seltsamen. Offensichtlich herrscht zwischen Vorarlberg und der Schweiz wesentlich mehr Vernunft und faktenbasierte Politik als auf dem Wiener Parkett. Hier wird abgefeiert, dass man eine gute Lösung zur Renaturierung des Rheins gefunden hat, weil alle verstehen, dass es notwendig ist, eine gute Maßnahme im Sinne der Bevölkerung und der Artenvielfalt zu setzen. Gleichzeitig arbeitet die ÖVP in Wien und auf europäischer Ebene dagegen. Rhesi ist Realpolitik, das andere Wahlkampfpropaganda. Das erhöht die Glaubwürdigkeit der ÖVP nicht besonders.

Wenn sich der Landeshauptmann gegen das Renaturierungsgesetz ausspricht, aber Rhesi feiert, widerspricht sich das?

Waitz So ist es, genau.

Sie werfen der FPÖ vor, die Interessen Österreichs zu verraten. Inwiefern?

Waitz Durch die aktive Kooperation mit Putins Russland oder durch ihr blankes Abstimmungsverhalten in der Europäischen Union. Ein Beispiel: Bei uns reden sie sehr viel über den ländlichen Raum und die Freiheit der Landwirte und in Brüssel stimmen sie gegen das Recht der Landwirte, selbst Saatgut herzustellen und weiterzugeben. Nur Lederhosen anziehen, reicht nicht, um den ländlichen Raum zu vertreten.

Sie kritisieren die FPÖ für die Kooperation mit anderen rechtsextremen Parteien. Ist die FPÖ auch rechtsextrem?

Waitz Naja, zumindest sind einzelne Proponenten der FPÖ ganz klar rechtsextrem. Wenn Herbert Kickl sagt, dass die rechtsextremen Identitären seien eine tolle NGO und wenn es personelle Überschneidungen mit den Blauen gibt, muss ich zumindest sagen, dass die FPÖ Rechtsextremismus in ihren Reihen willkommen heißt.

Ist Harald Vilimsky rechtsextrem?

Waitz Harald Vilimsky ist ein sehr erfahrener Politiker, der weiß, wie er seine Aussagen trifft, sodass sie noch hart am Rande von Nichtwiederbetätigung sind. Aber er ist auf jeden Fall jemand, der in Brüssel nicht mitarbeitet. Jemand, der immer nur dort ist, wo eine Kamera ist. Geht es um das eigentliche Einbringen österreichischer Interessen, ist er nicht da.

Sehen Sie das bei anderen Abgeordneten aus Österreich auch so?

Waitz Nein, das ist hauptsächlich bei der FPÖ so und speziell bei Herrn Vilimsky.

Sie sagen, er macht sich in Brüssel ein gutes Leben?

Waitz Ich glaube eher, dass er Gehalt aus Brüssel bezieht, um sich ein gutes Leben in diversen Bierzelten zu machen. Wenn die Freiheitlichen dort immer sagen, dass Ungarn so super ist, weiß man, was passiert, wenn die FPÖ an die Macht kommt. In Ungarn gibt es faktisch keine unabhängige Justiz mehr oder keinen unabhängigen Kulturbetrieb. Wenn man als Lehrer was Kritisches sagt, ist man seinen Job los. Das geht in Richtung Diktatur.

ABD0030_20240506 – WIEN – …STERREICH: EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn am Montag, 6. Mai 2024, anl. eines Festakts zum Europatag 2024 im Parlament in Wien. – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
EU-Kommissar Johannes Hahn wird nicht mehr Teil der künftigen EU-Kommission sein. Wer ihm nachfolgt, ist noch unklar. APA

Wen hätten Sie den gerne künftig als österreichischen EU-Kommissar oder EU-Kommissarin?

Waitz Politik ist kein Wunschkonzert, aber ich würde mir schon eine grüne Kommissarin oder einen grünen Kommissar wünschen.

Geht es sich noch aus, dass es unter der Koalition von ÖVP und Grünen noch ein Kommissar/eine Kommissarin festgelegt wird?

Waitz Es ist denkbar.