Eine Republik. Drei Monate. Keine Regierung.
Österreich steht seit drei Monaten ohne Regierung da, ein Zustand bedingt durch politische Konflikte und unterschiedliche Ansichten über das EU-Renaturierungsgesetz, schreibt Christian Rainer in seinem VN-Kommentar.
Vergangene Woche stand hier als Titel: „Kanzler Nehammer mit Vizekanzler Hanke?“ Das bezog sich auf die Zeit nach der Nationalratswahl. Dieses Mal haben wir zu vermelden: Die Republik verfügt bis zur Nationalratswahl weder über einen Kanzler, noch über einen Vizekanzler. Formal stimmt das natürlich nicht. Aber wenn sich fünf Energielandesräte weigern, an einem Treffen mit der für sie zuständigen Ministerin in Bregenz teilzunehmen, und wenn diese Landesräte jener Partei angehören, die mit der Partei der Ministerin in Wien regiert, dann sind wir durchaus im Zustand des Nichtregierens angekommen.
Die Vorgeschichte kennen Sie vermutlich. Leonore Gewessler hatte gegen den Willen des Koalitionspartners und der Landeshauptleute (zwei scherten – zu spät allerdings – aus) dem EU-Renaturierungsgesetz zugestimmt. Hätte sie nicht zugestimmt, wäre das Gesetz in Brüssel mangels qualifizierter Bevölkerungsmehrheit nicht durchgegangen.
Ich will Ihnen meine Gedanken dazu näherbringen.
Zunächst einmal: Meine Meinung zu diesem Gesetz selbst, braucht Sie nicht zu interessieren. Ich habe mich wie die meisten Journalisten im Land zu wenig damit beschäftigt, um eine inhaltliche Bewertung vorzunehmen. Wahrscheinlich wäre ich sogar für dieses Gesetz. Fast jede politische Initiative gegen die Klimakatastrophe tut not. Ebenso akzeptiere ich in diesem Zusammenhang zivilen Widerstand. (Ich hätte auch nichts gegen die Klimakleber, müsste man nicht langsam befürchten, dass die Sache nach hinten losgeht.)
Aber diese Meinung spielt hier keine Rolle. Daher finde ich konträr zu meiner etwas vagen Haltung zu dem Gesetz, dass Gewessler völlig unverantwortlich gehandelt hat, dass sie und mit ihr die Grünen dafür bei den Wahlen die Verantwortung tragen müssten. Zwei Begründungen.
Erstens. Die Ministerin befindet sich rechtlich auf sehr dünnem Eis. Unter anderem hatte ihr der Verfassungsdienst der Republik ausgerichtet, dass sie nicht berechtigt sei, in Brüssel zuzustimmen. Selbst wenn ihre Privatgutachten anderes ergeben: Gewessler wusste, dass sie möglicherweise widerrechtlich agiert, dass sie vielleicht einen Verfassungsbruch begeht. Das hat sie in Kauf genommen. Im Strafrecht würde dieses Handeln unter dolus eventualis fallen, bedingter Vorsatz: Der Täter hält die Verwirklichung eines Tatbestandes für ernsthaft möglich. Die nonchalante Inkaufnahme eines Verfassungsbruchs durch ein Regierungsmitglied untergräbt die Demokratie. Das Motiv dafür ist angesichts des drohenden Schadens irrelevant. Die Ministerin Gewessler meinte, dass sie als Privatperson Gewessler zivilen Widerstand leisten könne.
Zweitens. Gewessler hat in Brüssel die Koalition in Wien in die Luft gesprengt. Sie handelte bewusst gegen den Willen des Koalitionspartners. Das entspricht nicht dem, wie wir die Zusammenarbeit dieser beiden so ungleichen Parteien über eine Legislaturperiode erlebt haben. Denn entgegen allen Erwartungen hatte das gut funktioniert: Das Vertrauen zwischen Karl Nehammer und Werner Kogler, zwischen August Wöginger und Sigrid Maurer hatten die inhaltlichen Unterschiede ausgeglichen.
Zusammengefasst: Gewessler hat sich vielleicht an der Verfassung und sicher am Koalitionspartner vergriffen.
Kommentar