“Im Herzen bin ich ein Steirer geblieben”

29.07.2024 • 14:39 Uhr
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Mit dem Koffer stieg Johann Haumer im Sommer 1962 in den Zug nach Vorarlberg ein.

Nach dem Krieg wanderten viele Innerösterreicher nach Vorarlberg ein. Die VN sprachen mit Zuwanderern.

Dornbirn Viele Steirer und Kärntner wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg nach Vorarlberg ein, um hier Arbeit zu finden und ein neues Leben aufzubauen. „Wir sprechen von rund 32.000 Steirer und circa 30.000 Kärntnern“, informiert Johann Haumer (82), der Ehrenobmann des Vereins der Steirer in Vorarlberg. Vorarlberg war zu dieser Zeit schon industrialisiert im Gegensatz zur Steiermark und Kärnten. Vor allem die Textilindustrie und der Tourismus boten den Zuwanderern zahlreiche Arbeitsplätze. „Manche von ihnen kamen als Saisonarbeiter und blieben schließlich dauerhaft in Vorarlberg.“

Auch Haumer verließ seine Heimat Steiermark. 20-jährig ließ er sich im Jahr 1962 in Vorarlberg nieder. Er war hier nicht auf sich allein gestellt. „Eine Schwester und ein Bruder waren schon vor mir ins Land gekommen.“ Haumer hatte in der Steiermark eine Lehre zum Elektromaschinenbauer absolviert. „Ich hätte ins 45 Kilometer entfernte Graz zur Arbeit pendeln müssen. Das wollte ich nicht. Also kam ich nach Vorarlberg.“

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Als junger Mann wanderte Johann Haumer nach Vorarlberg ein.

Der junge Mann fand in Dornbirn bei „Elektro Rein“ eine Arbeitsstelle. Dieser Firma blieb er bis zu seiner Pensionierung treu. Haumer fing als Kundendiensttechniker an und arbeitete sich im Lauf der Jahre bis zum Prokuristen hoch. Durch den Beruf – bis 1975 reparierte er Haushaltsmaschinen – kam er mit vielen Vorarlbergern in Kontakt. „Sie nahmen mich gut auf.“ Er schloss zahlreiche Freundschaften. Das erleichterte ihm die Integration. Die Anfänge aber waren bescheiden. „Ich hatte nur ein Zimmer angemietet.“ Einige seiner Landsleute waren im Haus der jungen Arbeiter in Dornbirn untergekommen. Haumer machte es den Vorarlbergern nach und lebte nach deren Motto: Schaffa, schaffa, Hüsli baua. In seinem Haus wohnt heute seine Tochter.

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Johann Haumer ist mittlerweile 82 Jahre alt.

Der 82-Jährige hat die Auswanderung nie bereut. „Vorarlberg ist ein schönes Land. Hier ist alles in Ordnung.“ Aber ein paar Mal im Jahr zieht es in ihn in die Steiermark. „Vorarlberg ist meine Heimat. Aber im Herzen bin ich ein Steirer geblieben.“ Wohl auch deshalb trat er 1987 dem Verein der Steirer bei. Er engagierte sich für seine Landsleute und übernahm für einige Jahre die Funktion des Obmannes. Der Verein zählt heute 900 Mitglieder.

Eines der ältesten Vereinsmitglieder ist Leo Herbst (95) aus Dornbirn. Der gelernte Kaufmann verließ 1954 sein Heimatland, um in Vorarlberg die Textilschule zu besuchen. Nach der Schule fand der Steirer eine Anstellung bei der Dornbirner Firma Benedikt Mäser, das Unternehmen stellte Wäsche, Sport- und Freizeitbekleidung her. Auch Herbst blieb der Firma bis zur Pensionierung treu und baute hier ein Haus. Anfangs fühlte er sich fremd im Land. Das lag auch daran, dass er den Dialekt nicht gut verstand. „Ich musste gut zuhören, damit ich was verstand.“ Abseits der Arbeit hatte er wenig Kontakt zu Vorarlbergern. „An Freundschaften war anfangs nicht zu denken.“ Im Verein der Steirer hingegen fand Herbst schnell Freunde. Der Verein, der 1937 gegründet wurde, organisiert für seine Mitglieder im Jahr mehr als 20 Veranstaltungen – von Ausflügen über Weinfeste und Tanzabende bis hin zur Weihnachtsfeier.

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Der Steirer Leo Herbst besuchte als junger Mann in Vorarlberg die Textilschule. Er blieb für immer hier. Philipp Steurer

Im Jahr 1960 ehelichte Herbst Margarethe, die ihm drei Söhne schenkte. Auch die Damenschneiderin war aus der Steiermark zugewandert. „Ich bin meiner besten Schulfreundin nachgefahren, die in Götzis lebte.“ Margarethe muss schmunzeln. Dann meint die 89-Jährige, die über viele Jahre in Heimarbeit Kindermode entwarf: „Leo und ich sind beide Steirer. Vielleicht ist das das Geheimnis unserer guten Ehe.“

In den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ließ der Zustrom an Arbeitskräften aus Innerösterreich nach. „Die Vorarlberger Industrie warb jetzt Türken an“, berichtet Johann Haumer und fügt dann noch sarkastisch hinzu: „Als die ersten türkischen Gastarbeiter ins Land kamen, haben die Vorarlberger gemerkt, dass die Innerösterreicher auch Österreicher sind.“