105-Jährige glaubt ans Schicksal: “Es ist alles Fügung”

Gertrud Thurnher wird am 8. August 105 Jahre alt. Die Bregenzerin ist die viertälteste Vorarlbergerin.
Bregenz Gertrud Thurnher ist ein Nachkriegskind. Einige Wochen nach dem formellen Ende des Ersten Weltkrieges erblickte sie das Licht der Welt: am 8. August 1919. Ihre Eltern betrieben das Gasthaus Zoll in Bregenz. Diese waren mit der Wirtschaft fest eingespannt. Das bot Gertrud und ihrem Bruder Kurt viel Freiraum. „Ich war oft bei meiner Freundin. Wir schwammen wie Fische im Kanal und in der Bregenzerach – manchmal sogar von Kennelbach bis zur Mündung in den Bodensee.” Die Bregenzerin war in jungen Jahren eine richtige Abenteurerin. „Mama war auch eine großartige Alpinistin. Sie hat den Piz Buin zweimal bestiegen, im Winter und im Sommer“, verrät Tochter Ingeborg (71), die ihre hochbetagte Mutter betreut.

Gertrud kannte keine Furcht. Aber das änderte sich, als sie Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Familie gründete. Gertrud sorgte sich um ihre Lieben, ihre zwei Kinder Armin und Ingeborg und ihren Mann Georg. Wenn sie nach der Schule oder nach der Arbeit nicht gleich nach Hause kamen, wurde Gertrud unruhig. „Ich bin dann von einem Fenster zum anderen gegangen und habe nach ihnen Ausschau gehalten.“ Ihre Verlustangst kam nicht von ungefähr. Gertrud verlor ein Kind kurz nach der Geburt. „Im Leben geht nicht immer alles glatt“, meint sie heute dazu und: „Das Leben geht weiter. Man muss nach vorne schauen.“ Freilich: Sie trauerte um das Kind, aber eine Jammer-Liese war sie nie. „Wenn etwas unabwendbar ist, muss man nicht wehklagen“, findet sie.

Gertrud glaubt ans Schicksal. „Es ist alles Fügung. Dass ich nach der Handelsschule im Finanzamt eine Stelle als Chefsekretärin bekam, war kein Zufall. Dort lernte ich meinen späteren Mann Georg kennen.“ Die junge Frau wollte sich nicht im elterlichen Gasthaus engagieren. Denn: „Im Gastgewerbe hat man keinen Feierabend und keinen Sonntag. Außerdem muss man sich von den Gästen einiges gefallen lassen.“

Mit ihrem Mann, der im Jahr 2006 starb, zog sie das große Los. „Er war ein Musterehemann und Mustervater.“ Auch sonst meinte es das Leben mit ihr gut. Ihre Kinder wuchsen zu tüchtigen Menschen heran, Armin wurde als Chefredakteur und Herausgeber der Wiener Wochenzeitung „Falter“ eine prägende Figur im österreichischen Journalismus. Ingeborg ging in ihrem Beruf als medizinisch-technische Assistentin am LKH Feldkirch auf.

Aber auch Gertrud wusste sich als Hausfrau ihr Leben einzurichten. Abseits der Familie galt ihre Liebe ihrem großen Garten. Da wurden Blumen gesät, Gemüse und Bäume gepflanzt. „Es ist schön, wenn man zusehen kann, wie etwas wächst und gedeiht.“ Die rüstige Frau zeigt auf einen großen Baum im Garten. „Die Rotbuche war ganz klein, als wir sie gepflanzt haben, über die Jahre ist sie riesig geworden.“ An dem Baumriesen sieht sie, wie die Zeit vergangen ist. Manchmal kann Gertrud nicht glauben, dass sie schon 105 Jahre alt ist. Dass sie so alt werden durfte, erfüllt sie mit Dankbarkeit. „Vielleicht liegt es daran, dass ich immer vernünftig gelebt und nie über die Stränge geschlagen habe.“ Das heißt aber nicht, dass sie sich nichts gegönnt hätte. Zu ihrem Leben gehörten auch gutes Essen, ab und zu ein Glas Wein in Gesellschaft und schöne Reisen. Die kleinen Freuden des Lebens genießt sie nach wie vor mit Inbrunst. „Ich lebe noch sehr gerne und denke nicht jeden Tag ans Sterben.“

Die betagte Frau nimmt regen Anteil am Weltgeschehen. Drei Tageszeitungen liest sie am Tag und die Kolumnen ihres Sohnes. „Armin schickt sie mir per Mail. Ich lese sie am iPad. Das habe ich zu meinem 90. Geburtstag geschenkt bekommen. Es ist eine prima Erfindung. Das erspart einem das Briefeschreiben.“ Lange tauschte sie sich auch per Mail mit einer Freundin aus. „Die ist mittlerweile aber leider gestorben.“ Gertrud hat nichts gegen den technologischen Fortschritt, im Gegenteil, er ist ihr Recht. „Man kann nicht stehenblieben und rückwärts gehen schon gar nicht.“ Tochter Ingeborg serviert Kaffee. Gertrud wirft ihr einen zärtlichen und dankbaren Blick zu. „Ich habe eine fürsorgliche Tochter. Das erleichtert vieles“, sagt sie dann. Und: „Ingeborg bringt mich jeden Tag wie ein Baby zu Bett.“
